Donnerstag, 22. Mai 2014

Up to date

Ich mal wieder. Ausnahmsweise.

Inzwischen ist ein Wunder geschehen und ich habe es geschafft, einmal einen grösseren Haufen Fett loszuwerden. Es war wirklich nicht einfach - es ist nicht einfach - aber inzwischen konnte ich mein Gewicht von den grausigen 93 über die ekligen 85 auf immer noch gruslige 74-76 Kilogramm reduzieren. Es ist immer noch viel zu viel und ich fühle mich überhaupt nicht wohl in meiner Haut. Aber alles ist besser, als das zuvor und alles ist besser als nichts, darum akzeptiere ich einfach mal die Gegebenheit, dass ich zwar nicht so viel geschafft habe, wie ich eigentlich seit über einem Jahr schaffen wollte - aber immerhin habe ich was geschafft, und das ist im Augenblick alles, was zählt.

Leider bedeutet meine Abnahme nicht automatisch, dass ich auch meine Essstörung ein Stück weit los bin. Es ist immer noch das gleiche Spiel. Ein Hin - und Herschaukeln zwischen den Extremen, nur dass es inzwischen wieder mehr auf die Nicht-Ess-Seite gekippt ist, als auf die Fressseite.

Im Augenblick ist es aber leider wieder sehr schwer und ich dümple immer auf einem Gewicht zwischen 74 und 76 Kilogramm herum - aber das ist inzwischen immerhin schon mal im oberen Bereich des Normalgewichts, was man als Fortschritt verbuchen könnte.

In meinem Kopf herrscht immer noch Krieg, Frust, Wut, Angst, weil ich so viele Dinge tue, die ich eigentlich nicht tun möchte, weil ich Dinge in mich stopfe, von denen ich eigentlich weiss, dass sie mich unglücklich machen, und ich es trotzdem nicht verhindern kann. Wo ist mein Wille hin, wo meine eiserne Disziplin?

Ich glaube, das Nicht-Essen fällt mir so schwer, weil ich in diesem Jahr - so schrecklich es auch gewesen sein mag - gelernt habe, wie schön Essen sein kann. Wie schön es ist, wenn man mit Freunden am Tisch sitzt und anstatt nur etwas trinkt auch effektiv mitessen kann. Wie schön es ist, wenn man mal das Essen mit der Familie teilen kann, das die Mutter gekocht hat, anstatt an faden Möhren zu knabbern. Wie schön es ist, wenn man mit der kleinen Schwester spontan nach dem Kino noch ins Restaurant sitzen kann, einen Drink trinken, einen Schokokuchen essen. Und vor allem: wie schön es ist, sich nichts zu verbieten, keine Kalorien zu zählen, nichts abzuwägen, keinen exessiven Sport zu betreiben, obwohl man bereits am Ende ist, etc. Ich glaube, das ist das grösste Problem, was mich davon abhält, das Essen für längere Zeit aufzugeben. Mir ist nämlich bewusst, oder meinem Unterbewusstsein, dass Abnehmen auch wieder absolute Kontrolle bedeutet. Dass ich für lange Zeit auf Dinge verzichten muss, mich wieder abgrenze durch meine Essenswahl und die Art, wie ich esse. Dass ich mich durch Sport durchzwingen muss, obwohl ich vor lauter Schlafmangel kaum mehr stehen kann. Und ich glaube, mein Unterbewusstsein veranlasst mein Hirn, mich in solchen Momenten dann zu verführen, es durchbricht meine Mauern und schwächt mich - und ich gebe nach, falle bröckelnd zusammen und alle Vorsätze verschwimmen und ich stehe da und stopfe Dinge in mich hinein, die ich weder geniessen noch richtig schmecken kann.

Ich habe auch gelernt, wie schön es sein kann, mal unordentlich und faul zu sein, mal einfach zu geniessen und nicht tausend Dinge auf einmal und so perfekt wie möglich zu erledigen. Es ist schön, sich mal nicht mit Sport zu quälen, sich Zeit für anderes zu nehmen, spontan zu sein, Neues auszuprobieren. Aber ich weiss auch, dass das eigentlich nicht ich bin. Ich fühle mich nicht wohl im Chaos, ich mag Unordnung nicht, ich plane Dinge gerne und ich mache auch gerne Sport. Schlussendlich bedeutet das für mich also auch hier, für das alltägliche Leben, dass ich lernen muss, einen Mittelweg zu finden. Die Mitte zwischen Perfektionismus und Chaos, zwischen Hyperaktivität und Faulheit, zwischen verplant und planlos, zwischen zu diszipliniert und zu undiszipliniert.
Es ist der rote Faden, der sich durch mein Leben zieht und an dem ich arbeiten muss. Ich muss lernen, nicht alles, was ich tue, immer auf extreme Weise zu tun.

Als erstes muss ich das in Sachen Essen lernen, denn wenn ich es schaffe meine Ernährung soweit auszubalancieren, dass sie mir wieder Stabilität - nicht in Form eines Korsetts, wie die Magersucht es getan hat - gibt und ich eine gewisse Kontinuität hineinbringe, dann werde ich automatisch in anderen Bereichen ausgeglichener, was ich aus Erfahrungen während meiner Magersuchtzeit weiss. Erst dann, wenn dieser so alltägliche Ablauf des Essens sich auf einem guten und regelmässigen Level gefestig hat und mich nicht im Minutentakt ausser Balance bringt, kann ich mich den anderen Dingen zuwenden und die ins Gleichgewicht bringen.

Aber es ist verzwickt und bringt mich täglich beinahe um den Verstand. Ich weiss genau, dass mich das Essen unglücklich macht, dass es mir mehr schadet als nützt. Aber in diesen Situationen habe ich das Gefühl wahnsinnig zu werden, kann an nichts anderes mehr denken als ein bestimmtes Nahrungsmittel, das ich mir früher immer verboten habe. Und dann, meist noch bevor ich es dann esse, packt mich das schlechte Gewissen. Ich debattiere ewig mit mir, bis ich schliesslich nicht mehr kann und einfach esse. Und danach fühle ich mich noch schlimmer als zuvor. Und ich verstehe die Welt nicht mehr, weil ich mir doch schon abertausende Mal gesagt habe, dass Essen mich nicht glücklich machen kann, sondern eher das Gegenteil.

Jetzt verstehe ich sehr gut, warum es so viel dicke Menschen gibt in unserer Gesellschaft. Essen beruhigt, es lässt uns Gefühle vergessen, es bringt Menschen zusammen und man hat das Gefühl dazuzugehören. Es lässt Schmerz für eine bestimmte Zeit verschwinden, zumindest fühlt es sich so an, es gibt uns Energie, die uns fehlt, weil wir ständig unter Druck stehen. Es gibt uns das Gefühl, dass wir besser mit dem Chaos in uns drinnen umgehen können. Es lenkt ab und es lässt uns unsere Langeweile, Angst und unser Herumirren vergessen.

Früher habe ich geurteilt über dicke Menschen. Ich habe mich gefragt, wie man das so weit kommen lassen kann, weil ich mir das als Magersüchtige überhaupt nicht vorstellen konnte, dass man so die Kontrolle über sich selbst verlieren kann und es überhaupt so weit kommen lassen kann, dass man zu viel wiegt. Und jetzt stehe ich da und bin selber dick und fühle mich zu 90% verzweifelt und machtlos dagegen, weil es schlussendlich genau so eine Essstörung ist, mit der ich kämpfe, wie die Magersucht, mit der ich gekämpft hatte. Es hat sich nur ins andere Extrem verkehrt.

Ich hoffe sehr, dass ich es schlussendlich doch herausschaffe. Dass ich eine goldene Mitte finde und nicht mehr in Extremen leben muss. Dass ich aufhören kann, alle meine Gefühle über das Essen steuern zu wollen, denn eigentlich weiss ich ganz genau, welch Illusion ich hier anheim falle.

Ich gebe nicht auf. Auch wenn ich mich darauf einstellen muss, dass es länger dauert, als ich mir wünschen würde.

Sonntag, 16. März 2014

Back again - with the same ol' problems

Ich weiss nicht, wer meinen Blog liest, oder gelesen hat. Ob überhaupt jemand interessiert, was hier steht. Aber ich habe beschlossen, mich zurückzumelden. Auch wenn es mir schwer fällt, weil ich immr noch genau so schwach bin, wie seit meinem letzten Post.

Inzwischen war ich im Ausland für eine Weile und weil es mir da sehr schlecht ging, habe ich noch mehr zugenommen. Eine Weile lang wog ich grauenhafte 93 Kilogramm. Es war die Hölle - und es ist sie immer noch. Über die Monate habe ich es trotz andauernder Fressanfälle geschafft, mein Gewicht auf ungefähr 85 Kilogramm zu senken. Immer noch viel zu viel und immer noch eine Qual.

Seit über einem Jahr lebe ich mit dieser verfluchten neuen Essstörung und jeder Tag läuft gleich ab. Ich schwöre mir, dass ich nicht fresse, schwöre mir, dass ich nicht esse, schwöre mir, dass ich Sport mache, und den Plan abzunehmen durchziehe. Das klappt manchmal für einige Tage, manchmal für eine Woche, dann irgendwann passiert aber etwas, das mich so vollkommen aus dem psychischen Gleichgewicht - das, wenn man es genau nimmt, nicht einmal wirklich besteht - dass ich mich wieder ins Essen flüchte. Oder ich getraue mich nicht, mich den Konflikten zu stellen, die zwangsläufig auftauchen werde, wenn ich wieder aufhöre zu essen. Schon wenn ich mal am Mittag nicht richtig esse, schrillen bei meiner Familie die Alarmglocken, obwohl sie selbst sagen, ich sei zu dick, haben sie trotzdem Angst, dass ich schneller wieder magersüchtig werde, als sie sich vorstellen können.

Ich kann ihre Angst verstehen, denn ich weiss, dass sie recht haben. Ich weiss, wie sehr ich zwischen den Extremen gefangen bin und dass ich jederzeit wieder in die Magersucht rutschen könnte. Ich habe leider nie in Betracht gezogen, dass ich vielleicht lieber langsamer und gesünder abnehmen sollte. Wobei - nein, das stimmt so nicht ganz. Ich habe mich über Monate gequält und versucht, eine Entscheidung zu treffen. Herauszufinden, was mir wichtiger ist: schnell abnehmen oder gesund abnehmen. Ich habe mich immer für das schnelle Abnehmen entschieden und zwar aus einem einzigen Grund. Ich habe ein Pferd, ein Kleinpferd und es quält mich, mit meinem Gewicht auf es zu sitzen. Jetzt bin ich lange nicht mehr geritten - und auch wenn das Reiten für mich nicht das Zentrum im Zusammensein mit einem Pferd ist, so vermisse ich es inzwischen doch sehr.

Ich wollte also die ganze Zeit über so schnell wie möglich abnehmen. Jeden Tag habe ich versucht, damit zu beginnen. Und jetzt? Jetzt bin ich seit sechs Monaten wieder zuhause aus dem Ausland. In dieser Zeit hätte ich mit einer gesunden Diät locker in ein erträgliches und gesundes Gewicht abnehmen können. Ich müsste jetzt diesen Text hier nicht schreiben. Ich müsste mir keine Sorgen mehr darüber machen, dass ich mein Pferd nicht reiten kann, weil ich zu schwer bin.

Aber im Nachhinein ist man immer klüger und ich habe mir so sehr vorgenommen, dass ich nach dem Aufenthalt im Ausland sofort mit dem Fasten anfange, dass ich mich total darin verbissen habe und irgendwann so grosse Panik bekam, dass das langsame Abnehmen für mich gar nicht mehr in Frage kam.

Und jetzt? Jetzt kommt es für mich auf keinen Fall mehr in Frage. Ich bin dabei mein Pferd zu trainieren - momentan mehr vom Boden aus, aber jetzt ist der Frühling da und ich sollte auch mit dem Reittraining beginnen. Ich nehme mir viel Zeit dafür, das ist klar. Ich habe auch keine Turnierambitionen, will nur, dass ich ihn gesund und glücklich erhalten kann. Leider ist er sehr verritten zu mir gekommen, weshalb ich jetzt in der Lage sein sollte, ihn langsam auch wieder reiterlich zu trainieren. Bin ich aber nicht wirklich, weil ich einfach ein zu grosses schlechtes Gewissen habe, dass ich so viel wiege. Klar, er ist ein starkes Pferd. Er hat auf Island 120 kg Männer getragen - aber das spielt für mich keine Rolle, denn ich für mich empfinde mich als zu schwer und somit ist für mich der Zug des langsamen Abnehmens vor Monaten auch abgefahren, auch wenn ich mir wünschte, ich hätte damals, als ich zwischen Hungern und Diät schwankte, mich für die gesunde Diät entschieden hätte. Dann wäre ich vielleicht nicht so schnell vorangekommen, aber immerhin würde ich schon weniger wiegen, als ich es jetzt tue.

Ich halte also immer noch daran fest, es so zu machen, wie ich mir das überlegt habe. Ich werde nicht monatelang nichts essen, aber ich werde auch nicht eine langsame Diät machen. Ich würde sagen, das was ich versuche zu machen, ist eine Mischung aus beidem. Sobald ich die Grenze von 70 Kilogramm erreicht habe, die ich mir gesetzt habe, was das Reiten anbelangt, werde ich langsam auf eine gesunde Diät umstellen und so die restlichen 10-15 Kilos loswerden, Muskeln aufbauen, wieder fit werden.

Ich möchte auf keinen Fall wieder magersüchtig werden, auch wenn mein Kopf manchmal solche Spinnereien hat. Im Laufe der Zeit hat sich auch mein Wunschgewicht langsam erhöht. Von dem Wunsch anfangs wieder auf meine 48 Kilogramm zu kommen, bin ich längst weggekommen. Inzwischen strebe ich ein Gewicht zwischen 54 - 60 Kilogramm an, mit starken Muskeln und einem gut ernährten Körper, der alles bekommt, was er braucht. Ich will fit und nicht spindeldürr werden. Ich will meinen Body so gut in Form haben, dass ich allen Ansprüchen des Reitens eines Gangpferdes gerecht werden kann. Im Augenblick kann ich das nicht, weil die Essstörung mich sowohl physisch als auch psychisch extrem beeinträchtigt.

Ich weiss nicht, was ich sonst noch erzählen kann. Für eine Zeit lang ging es mir recht gut, die Depression hatte an Stärke eingebüsst. Dann hat sie mich aufgrund schwerwiegender familiärer und pferdischer Probleme wieder eingeholt. Inzwischen ist auch das Ritzen wieder da, obwohl ich es geschafft habe Dezember, Januar und Februar die Finger von der Klinge zu lassen.

Mein Leben ist im Augenblick ein unglaubliches Auf und Ab. In meinem Kopf herrscht ein riesiges Chaos, weil es so viele Dinge gibt, über die ich mir Gedanken mache und die mich ganz stark beschäftigen. Mir fehlt extrem viel Schlaf, ich bin unausgelichen und schwanke zwischen Tagen, an denen meine Stimmung zwischen herrvorragend bis tiefverzweifelt schwanken. Das ist im Augenblick extrem anstrengend und belastend. Vor allem, weil ich vor ein, zwei Monaten dachte, dass ich es jetzt endlich schaffe, aus diesem Sumpf herauszukommen.

Alles, was ich mir für die Zukunft wünsche ist, dass ich es schaffe, dieser Traurigkeit für immer längere Zeit zu entkommen und dass es mir vergönnt ist, aus der Essstörung zumindest soweit herauszukommen, dass sie meinen Alltag nicht mehr so stark beeinflusst, wie sie es jetzt tut. Ich wünsche mir, dass ich meine Energie und meine Kraft voll und ganz für das nutzen kann, was mir im Leben am meisten bedeutet: das Zusammensein mit den Pferden. Sie haben es so verdient, dass ich ohne Sorge und mit klarem Kopf und gutem Selbstbewusstsein zu ihnen komme und ich wünsche mir nichts mehr, als dass ich es endlich schaffe, das zu verwirklichen, was mir seit über einem Jahr in jeder Minute im Kopf herumgeistert.

Ich habe keine Ahnung, warum es so lange dauert, bis es mir gelingt, aus dieser Essstörung auszubrechen. Es war leichter, die Magersucht im Zaum zu halten, als dieses verdammte Fressen. Aber auch hier muss ich sagen, dass ich viel gelernt habe und dass es vielleicht nötig war, dass ich auch mal das andere Extrem erlebt habe. Ich bin nun Mal ein Mensch, der alles, was er tut auch auf extreme Art tut. Und es ist meine Lebensaufgabe, wenigstens in den Bereichen, die ich kontrollieren kann, meine Balance zu finden und zur Ruhe zu kommen.

Ich werde nicht aufgeben, auch wenn ich oft kurz davor war, mein Leben zu beenden, weil ich so verzweifelt und erschöpft war. Aber ich habe einen Grund, einen Grund zu kämpfen, bis ich nicht mehr kann, einen Grund, alles zu geben, egal wie oft ich auch versage, einen Grund nicht aufzugeben, egal wie viele Steine mir im Weg liegen. Dieser Grund ist mein Pferd, das mich Tag für Tag am Leben hält und mir zeigt, wofür es wert ist, zu leben, egal wie schwierig das Leben gerade auch ist. Ohne zu Zögern kann ich sagen, dass mein Pferd mir schon viele Male das Leben gerettet hat und dass es nichts auf der Welt gibt, das mir mehr bedeutet, das ich mehr liebe und das mir mehr Kraft gibt, als dieses wundervolle Pferd.


Ich hoffe, allen Euch da draussen, geht es besser als mir. Denn auch wenn es von Aussen aussieht, als hätte ich alles im Leben, würde ich niemandem wünschen, mit mir zu tauschen. Nichts ist frustrierender und nichts macht mich trauriger, als zu wissen, dass ich unfähig bin mein Leben zu leben und glücklich zu sein, obwohl ich alles habe, was ich dafür brauche. Ich werde nicht aufgeben für mein Glück zu kämpfen und ich werde nicht aufhören zu versuchen mein Leben zu leben. Irgendwann kommt die Zeit, da verfliegt der ganze Schmerz und all die Traurigkeit, die sich in mein Herz und meine Seele eingenistet hat und dann bricht die Sonne hervor und ich fange an, die zu sein, die ich wirklich bin und die tief in mir drin unter all den Traumata und all der Traurigkeit begraben liegt und versucht zu überleben.


Sonntag, 7. April 2013

Das Yesterday-you-said-tomorrow-Problem

Ich weiss nicht, wie hilfreich dieser kleine Tipp hier ist, aber ich wills trotzdem gesagt haben, weil ich aus Erfahrung rede.

Es ist normal, sagen uns die Ärzte, dass wir Magersüchtigen, wenn wir wieder zu Essen anfangen, irgendwann an einen Punkt kommen, an dem wir die Kontrolle verlieren. Das ist okay. 

Ich habe das den Ärzten nicht geglaubt und es hat mir Angst gemacht. Ich habe drei Jahre die perfekte Kontrolle über mich gehabt. Keinen einzigen Fressanfall und das, obwohl ich wieder mit dem Essen anfing. Ich bin also ein sehr disziplinierter und willensstarker Mensch. Und darum, aus diesem Wissen heraus, will ich euch etwas ans Herzen legen.

Fangt nie an euch zu sagen: Nur noch heute und ab morgen esse ich wieder normal.

Sag niemals: "Morgen fang ich an."
Sag: "Jetzt, in diesem Augenblick, nehm' ich's in die Hand."


Am Anfang mag das noch funktionieren - hat es bei mir auch mehr oder weniger - aber auf die Länge gesehen, kann das kaum gut gehen. Die Fresstage sind purer Stress für den Körper, an den Hungertagen hat man richtig Hunger und vor allem Lust zu essen, es wird zu einem richtigen Drang. 

Ich sage nicht, dass es bei allen, die mal anfangen zu fressen, so herauskommt wie bei mir. Ich bin vielleicht auch ein spezieller Fall. Die meisten würden in dieser Situation anfangen zu kotzen - ich habe das auch versucht, obwohl ich riesige Panik davor habe - aber es kann genauso gut sein, dass ihr die Kontrolle verliert ohne irgendwelche Gegenmassnahmen zu ergreifen.

Ich will das Dicker-werden hier nicht verteufeln. Um das geht es mir nicht. Es geht mir auch nicht darum die Essattacken als etwas Gefährliches hinzustellen.

Alles, was ich will, ist euch bewusst zu machen, dass der Spruch mit dem: "Nur noch heute esse ich alles, was ich will, stopfe mich so richtig voll und ab morgen bin ich dann wieder total kontrolliert." nicht funktioniert. Man muss diese Falle rechtzeitig erkennen. Ich wünschte, mir wäre früher ein Licht aufgegangen. Ich wünschte ich hätte damals nach Weihnachten schon durchgegriffen. 51 Kilo, die drei, die ich zugenommen hatte über die Festtage wären noch leicht abzutrainieren gewesen (und vor allem auf gesunde Art und Weise, was ich mir doch eigentlich sehr wünschen würde, in meiner Situation jedoch nicht mehr möglich ist). Wenn ich damals nicht ständig diesen Spruch gebracht hätte, dann sässe ich jetzt nicht mit 24 Kilo zu viel auf den Rippen vor dem Computer und schreibe einen Blog über "anorexic turned binge eating". 

Also. Wenn ihr euch dabei ertappt, dass ihr euch sagt, morgen wieder normal zu essen, dann kämpft. Lasst nicht zu, dass ihr in eine neue Form der Eßstörung rutscht. Glaubt mir. Es ist nicht die Quantität des Essens, die euch glücklich macht. Ihr seid nicht zufriedener, wenn ihr wie ein Walross total unbeweglich und mit aufgequollenem Bauch auf dem Sofa liegt. 

Aus Erfahrung kann ich sagen, dass es mir am besten ging, als ich mein Gewicht einigermassen gehalten habe und trotzdem jeden Tag 2200 Kalorien (oh ja, soviel habe ich trotz Magersucht gegessen, natürlich erst, als ich in der "Heilungsphase" war) gegessen habe. Damals war ich für jede Mahlzeit dankbar und mein schlechtes Gewissen hielt sich in Grenzen. Ich war einigermassen normal.
Alles andere aber, das Leben in Extremen, macht nicht glücklich. Wenn ich hungere, dann geht viel vom Leben verloren, weil man gewisse Dinge nicht mehr tun kann. Wenn ich mich vollfresse, gehen genau so viele Dinge verloren, weil man nur noch am Essen ist.


Also bitte: Fangt nicht mit dem "Morgen-ess-ich-wieder-normal-Ding" an. Es bringt euch an Orte, die ihr zuvor noch nie gesehen habt und die ihr, wenn ihr dort seid, bis auf den Tod verfluchen werdet.
Ich mein's ernst. Fangt nicht damit an.

Esst, versorgt euren Körper, aber macht nicht den gleichen Fehler und gebt ihm das x-fache von dem, was er eigentlich braucht. Vor allem. Der ganze Scheiss, den ihr dann in euch stopft hat null Wert. Er ist crap. Nichts als leere Kalorien, die eurem Körper nichts bringen ausser Überzuckerung, Übelkeit, Pickel, Bauchschmerzen und Fettreserven.

Also. Auch wenn die Versuchung der Extreme gross ist: sucht eure Mitte. Ein Leben in Extremen wird euch nicht glücklich machen - nicht auf die Dauer der Zeit jedenfalls.


Auch wenn es oft schwierig ist und man es durch das ganze Chaos, das im Kopf und im Herz herrscht, zu vergessen droht: Was du aus deinem Leben machst, liegt in deiner Hand. Du kannst dich in jeder Sekunde entscheiden, wie du leben willst, wofür du deine Kraft brauchen willst und was du aus dir machen willst. Auch wenn dir gesellschaftliche Konventionen auferlegt sind, auch wenn dir gewisse Dinge vielleicht nie gegeben waren, bin ich der festen Überzeugung, dass man alles erreichen kann, wenn man es mit jeder Faser seines Herzens tut. Und schlussendlich können dir noch so viele Steine im Weg liegen, wenn du ein Ziel vor Augen hast, dann findest du immer ein Weg, über sie hinweg zu steigen.



Du entscheidest, wie du dein Leben leben willst


Also. Das Leben ist, was du daraus machst. Es mag dir grosse Lasten auferlegt haben, aber es hat dir immer auch irgendwie die Kraft gegeben, diese Lasten zu tragen oder gar abzulegen. Gib nicht auf. In dir gibt es etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnt, egal wie lange dieser Kampf auch dauern mag. 

70 Tage Fressen, 70 Tage Hungern (Achtung, Trigger!)

Ich hab' sie gezählt, die Tage, an denen ich mich sinnlos, lustlos bis obenhin mit Essbarem vollgestopft habe. 70 Tage sind es, seit es richtig heftig geworden ist. Ich bereue diese Tage zutiefst und schäme mich dafür, was ich getan habe oder tue. Und aus diesem Grund, weil ich so unersättlich und ausser Rand und Band war, habe ich mir vorgenommen, dieses Verhalten auf irgendeine Weise wieder gut zu machen. Ich habe lange überlegt, was ich tun könnte. Welches Leid, welche Bestrafung ich an mir ausüben könnte. Und schliesslich ist mir das eingefallen, was am naheliegensten ist. Wenn ich 70 Tage fressen konnte, dann kann ich auch 70 Tage hungern.

Und ja, ich weiss, dass meine Entscheidung unvernünftig ist. Aber erstens gibt sie mir einen Ansporn das Binge Eating wirklich zu bekämpfen und zweitens, muss ich sowieso in drei Monaten vierundzwanzig Kilo abnehmen.

Ich sage nicht, dass irgendwer von euch das auch tun sollte. Wenn ihr mich fragen würdet, was ihr machen sollt, würde ich euch solange bearbeiten, bis ihr von diesem Plan ablässt, weil ich weiss, welche Gefahren er mit sich bringt. Aber ich bin nicht ihr und ich verzeihe mir nichts. Ich habe einen unglaublichen Drang mich dafür zu bestrafen, dass ich mich in den letzten Monaten selbst so verloren habe und mich gehen liess. Das Hungern, ich vergöttere es nicht, weil ich gesehen habe, was für Schäden es anrichten kann, aber im Augenblick ist es die einzige Möglichkeit, wie ich vom Überessen loskommen kann. Ich habe es wochenlang auf weniger drastische Weise versucht. Es hat nicht funktioniert, weil ich, sobald ich einmal zu essen beginne, alles in mich hineinstopfe, was ich in den letzten Jahren nicht mehr gegessen habe. Es funktioniert nicht mit einem Mittelweg, sondern nur mit einem Extrem. Einem Extrem, das auf der gegenüberliegenden Seite der Skala liegt.

Und so beginnt morgen, zum hundersten Mal, der Versuch das Binge Eating, das Comfort Eating, endlich hinter mir zu lassen und dahin zurück zu kehren, wo ich das Gefühl habe, ich sei mich selbst. Niemals zuvor habe ich mich so weit von meinem Innersten entfernt und auf lange Zeit kann ich so nicht leben. In den letzten Monaten war ich wie in Trance, habe gar nicht begriffen, was mit mir passiert, was für gestörte Dinge ich tue. Aber inzwischen bin ich aufgewacht und auch wenn mich das Fressen immer wieder wie eine Schlafkrankheit überkommt und ich mich dagegen wehrlos fühle, weiss ich, dass ich durchgreifen muss. Ich kann nicht länger so weit von mir entfernt sein.

Ich weiss nicht, ob ihr versteht, was ich damit sagen will. Eigentlich denke ich einfach, dass jeder Mensch eine gewisse Verfassung, sowohl physisch als auch psychisch hat, bei der er am nächsten bei sich selbst ist. Bei mir ist schon seit Geburt vorprogrammiert, dass ich dünn und gross bin, mit etwas anderem musste ich nie leben, auch wenn ich oft das Gefühl hatte, auffallend dick zu sein. Aber jetzt, wo ich dick bin, merke ich, dass das nicht ich bin. Es hat nichts, aber auch gar nichts mit mir zu tun, dass ich kurvig und füllig bin. Es passt nicht zu mir, passt nicht zu meinem Charakter, meinem Innersten. Und darum habe ich auch das Gefühl, so weit wie noch nie von meinem Innersten entfernt zu sein. Daraus ziehe ich die logische Konsequenz, dass ich zuerst eine physische Balance finden muss, in der ich mich wohl fühle. Ich bin zum Beispiel ein Mensch, der laufen muss, ich brauche diesen Ausgleich. Aber mit diesem Gewicht kann ich nicht laufen. Es ist so viel Masse, die an meinen Knochen auf und ab schwabbelt, das ertrage ich nicht, und meine Gelenke halten der plötzlichen Mehrbelastung nicht stand. In meinem Körper habe ich mich noch nie unwohler gefühlt. Das langsame (und damals doch schreckliche) Zunehmen nach dem Krankenhaus ist nichts im Gegensatz hierzu.

Mir ist bewusst, wie ungesund und unvernünftig ich im Augenblick bin, aber das darf ich sein, weil ich weiss, dass ich über das Hungern nie wieder vollkommen die Kontrolle verlieren werde. Ich konnte bis jetzt immer stoppen, wenn ich an einen gewissen Punkt gelangte und diese Absicherung erlaubt es mir zu Hungern. Auch wenn ich Angst habe vor den Folgen, vor dem Haarausfall und dem Herzrasen, dem Muskelschwund und der Schwäche, bin ich der Meinung, dass dies eine gerechte Bestrafung für die Masslosigkeit ist, die ich in den letzten Monaten an den Tag gelegt habe. Früher hätte ich mich noch heftiger geritzt, um mir selbst Leid zu werken. Aber dieses Ventil ist unnütz geworden. Jetzt muss die Bestrafung über das Essen wieder herhalten. Ich habe mich zu lange gehen lassen, zu lange die Kontrolle über mich verloren und mir somit bewiesen, dass mein Urteil, das ich vor langer Zeit gefällt habe, richtig war: Ich werde nie wieder einfach nach Lust und Laune essen können, weil ich das Gefühl für Normalität vollkommen verloren habe. Ich brauche Krücken, um durch die Welt des Essens zu gehen und das sind die Zahlen.

Es war schön, eine Zeit lang nichts auszurechnen, sich nichts zu verbieten. Aber wenn ich ehrlich bin, sind das die einzigen positiven Dinge, die ich wirklich zu schätzen wusste. Alles andere fühlt sich einfach schrecklich an und ich will sie nicht mehr in meinem Leben haben.

Daher versuche ich meine Pläne, die ich seit Monaten schmiede, in die Tat umzusetzen. Ich habe es schon so oft versucht und bin gescheitert, aber ich weiss auch, dass es so nicht weitergehen darf und dass mir die Zeit davonläuft. Es muss JETZT etwas geschehen und ich hoffe, das Schreiben dieses Blogs hilft mir bei der Umsetzung.

Vielleicht, wenn ich alles hinter mir habe und wieder in ruhigeren, sicheren Gewässern segle, werde ich  Bilder posten von dieser Zeit. Bilder des Hungerns, Bilder des Fressens und irgendwann wieder Bilder des "normal" Essens.

Es tut mir Leid, wenn ich irgendjemanden, der dies hier liest, betrübe. Es ist nicht meine Absicht. Aber das Motto dieses Blogs ist die ungeschminkte Wahrheit zu erzählen. Und für mich ist er die Möglichkeit mir all die Dinge von der Seele zu schreiben, die ich im richtigen Leben für mich behalte. Ich hoffe, ihr versteht das und fühlt euch von mir nicht angegriffen, betrogen, gedemütigt, getriggert oder was auch immer.

So, let's go. There's a lot to do.

Ach ja. Ich bin ein Mensch, der Veränderungen zwar hasst und extrem an gewohnten Dingen festhält, aber manchmal brauche ich Veränderungen, um zu begreifen, dass eine neue Zeit anbricht und ich mich von gewissen Gewohnheiten befreien muss.
Die erste Handlung, die ich im Sinne der Loslösung meiner momentanen Eßstörung mache, ist es, mein Zimmer ein wenig umzustellen. Es tönt banal, aber glaubt mir, es bringt viel. Ich weiss nicht. Ich habe das Gefühl, dass Emotionen, Gedanken und Handlungen sich in meinen eigenen vier Wänden festsaugen und tief eingraben. Es ist wie ein Muster, in das man immer wieder zurückfällt. Tage, die sich nicht gross voneinander unterscheiden und daher immer im gleichen Rhythmus ablaufen. Wenn ich alles in meinem Zimmer auf den Kopf stelle und ausmiste, Hausputz mache und Neues einbringe, dann durchbreche ich diese Rhythmen und es ist für mich leichter, aus alten Gewohnheiten auszubrechen. Darum: Ja, ja, jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, ... ;-)

Traurig, aber eigentlich müsste man glücklich sein

Ich werfe mir meine Traurigkeit und die Probleme, die ich im oder mit dem Leben habe, dauernd selbst vor. Wie kann es sein, dass jemand wie ich, die im Leben eigentlich alles hat, so undankbar traurig und depressiv sein kann?
Ich habe ein Dach, sogar ein schönes, naturfreundliches, über dem Kopf; ständig genug, sogar zu viel Essen; einen Ort, an dem ich mich bilden kann; eine Option einmal das zu studieren, was mich wirklich interessiert; die Möglichkeit meine Interessen auszuleben; Eltern, die alles für meine Geschwister und mich tun; wenige, aber gute Freunde, die mich nicht im Stich lassen; Geld, um mir meine Wünsche zu erfüllen; ich lebe in einem sicheren Land, lebe im Wohlstand. Kurz, es fehlt mir eigentlich an nichts.

Darum bin ich oft wütend über mich selbst. Warum bin ich so traurig? Warum bin ich so gestört? Warum kann ich nicht einfach normal sein? Warum kann ich nicht einfach das Leben geniessen? Warum muss ich mir so viele Gedanken machen? Warum kann ich nicht einfach mal zufrieden mit mir sein? Warum will ich perfekt sein, wo ich doch weiss, dass das unmöglich ist? Warum bin ich so verkrampft, verkorkst, verschroben? Warum, warum, warum?

Das blöde an diesen Gedankengängen ist, dass sie nur noch mehr deprimieren. Sie halten mir meine eigene Meinung, die ich von mir selbst habe, nur noch stärker vor Augen. Das Wissen oder die Erkenntnis, dass ich alles habe und dennoch unglücklich bin, weil es mir nicht an Materiellem, sondern an Immateriellem fehlt, beweist mir wieder einmal, wie unfähig ich bin. Welch' eine Versagerin doch in mir steckt. Ich weiss doch rein rational, was ich machen müsste, um zum Beispiel aus der Eßstörung heraus zu kommen. Warum aber schaffe ich das Notwendige nicht? Rein rational weiss ich so viele Dinge, erkenne so viel, aber es kommt nicht in meinem Herzen an und mein Herz bleibt somit traurig.

Was ich damit sagen will: obwohl ich oft selbst damit hadere und denke, dass ich kein Recht dazu habe, so zu sein, wie ich bin, muss man irgendwann von diesen Karussell der Gedanken wieder hinunter steigen und aufhören sich im Nachdenken und Anklagen zu verheddern.

Ganz nüchtern gedacht: Es bringt mir nichts, wenn ich mich selbst auch noch dafür anklage, das Leben nicht auf die Reihe zu bringen, obwohl ich doch alles habe, was man im Leben braucht. Denn, ganz offensichtlich scheint mir etwas zu fehlen, sonst wäre ich nicht traurig. Ich muss meine Traurigkeit also akzeptieren, so wütend es mich auch macht, dass ich bin, wie ich bin. Wenn ich mich dauernd selbst anklage, werde ich davon nicht glücklicher. Ich drehe mich also im Kreis und setze eine Spirale in Gang.

Ich versuche es, wenn ich denn nicht gerade auf dem Karussell der Gedanken angekettet bin, es so zu halten: Ich versuche meine Traurigkeit zu akzeptieren, aber nicht so, dass ich ihr einfach mein Leben überlassen. Es kommen immer wieder Phasen, in denen ich alle meine Energie zusammenkratze und versuche meine Traurigkeit aufzulösen. Ich arbeite an mir und ich arbeite hart. Aber obwohl ich die Traurigkeit akzeptiere, ignoriere ich nicht die Tatsache, dass ich dankbar sein kann, was mir im Leben alles gegeben wurde. So sehr ich manchmal mit meinem Leben abgeschlossen habe: Ich versuche immer dankbar dafür zu bleiben, dass ich dieses Wunder der Natur überhaupt erleben durfte. Und ich versuche auch dankbar zu sein für meine Traurigkeit, denn ohne sie hätte ich viele Dinge im Leben niemals gelernt, ohne sie wäre ich nicht so empfindsam, ohne sie, wäre ich nicht an der Stelle, an der ich heute bin.

Im Augenblick ist es für mich sehr schwer meine Traurigkeit zu akzeptieren. Ich finde auch keine Energie, um an mir selbst zu arbeiten. Aber das ist okay. Denn ich weiss, dass ich es in den Jahren davor immer wieder geta habe und ich weiss auch, dass es Zeiten gab, in denen ich einen Punkt im Leben erreicht hatte, der mich heute hoffen lässt, dass alles wieder besser wird.

Vielleicht bin ich im Augenblick etwas undankbar, verzweifelt und mit dem Leben irgendwie am Ende, aber ich versuche dennoch, mich selbst nicht vollkommen aufzugeben. Es reicht vielleicht im Moment bereits, wenn ich hin und wieder einen innerlichen Kampfgeist verspüre, denn ich weiss, dass der irgendwann so stark sein wird, dass ich meine Gedanken wieder in Taten umsetzten kann. Das ist der Kreislauf meines Lebens. Ich liege immer wieder einmal im Dreck, aber ich bin noch nie für immer liegen geblieben. Man findet immer einen Weg, solange man sich selbst nicht aufgibt. Und das tue ich nicht, denn ich weiss, was das Leben, das richtige Leben, das Leben mit dem wahren Ich, alles für mich bereit hält und dafür lohnt es sich zu kämpfen.

Und um nochmal zurück zum Thema zu kommen: dieser Punkt, das sich selbst vorwerfen, dass man nicht gut genug für dieses gute Leben ist, ist ein guter Übungsansatz. Schlussendlich geht es bei der Überwindung einer Eßstörung darum, dass man Dinge loslässt, die einem vielleicht eine Weile "geholfen" haben, aber nun nicht mehr nötig sind. Loslassen lernen. Ich denke zu lernen, gewisse Gedankengänge loszulassen, ist eine gute Vorübung für die grösseren Brocken, die man im Leben fallen lassen muss. Ich weiss, dass mir dieses Gedankenkarussell von "Ich sollte doch eigentlich glücklichsein..." nichts bringt, sondern mir das Leben nur noch schwerer macht. Es ist also ein Stein, der unnötig auf meinem Herzen liegt und mich bedrückt. Warum nicht einfach loslassen? Ich weiss, einfacher gesagt als gemacht, aber es kommen immer wieder die Momente, in denen man es schafft.

Loslassen, was man im Leben nicht braucht. Selbstvorwürfe bringen dich im Leben kaum weiter, also lass los. Und wie tue ich das? In dem ich, wenn ich mich bei Selbstvorwürfen ertappe, versuche wieder rational zu werden und zu akzeptieren, dass gewisse Dinge im Leben sind, von denen man denkt, dass man sie nicht haben darf.

Traurigkeit ist keine Schande. 


Ich darf also traurig sein, darf weinen, aber ich darf auch dankbar sein dafür, dass ich wenigstens was andere Dinge betrifft glücklich sein darf. Das Leben besteht nicht nur aus Traurigkeit oder Glück, es besteht aus beidem. Und keines von beidem ist verboten. Auch wenn man traurig ist, darf man hin und wieder glücklich sein. Und auch wenn man eigentlich glücklich ist, darf man hin und wieder traurig sein.

Traurigkeit ist keine Schande, denn sie gehört zum Leben dazu. Wenn man die Tiefen nicht kennt, weiss man die Höhen nicht zu schätzen.


Samstag, 6. April 2013

Wer ist eigentlich "Kröte"?

Wenn jemand von euch den einen oder anderen Blog durchgelesen habt, ist euch vielleicht "Kröte" aufgefallen.

Ihr kennt das doch. Irgendwie haben wir alle eine Bezeichnung für die Magersucht, die Essstörung, den kleinen Teufel, der in uns hockt, sich ins Fäustchen lacht und herumbrüllt, wie abstossend und eklig und nicht liebenswert wir seien.

Und meine Bezeichnung dafür ist Kröte.
Ich weiss, ein sehr hässliches Wort, aber es hat seine Geschichte.

Eigentlich habe ich keine Ahnung mehr, wie wir darauf gekommen sind, meine Ärztin und ich. Aber inzwischen heisst die Essstörung so. Es gibt sogar ein Bilderbuch von ihr, das ich meiner Ärztin einmal geschenkt habe. Darin verarbeitete ich auf relativ ironische und humorvolle Weise die Fratzen, Verhaltensweisen der Magersucht. Es sollte ein bisschen mehr Leichtigkeit in dieses schwere Thema bringen. Und es bringt uns immer zum Lachen. Ich weiss auch, dass sie mein Bilderbuch ihren anderen Patientinnen zeigt, damit diese sehen, dass man die Magersucht auch mit Ironie und Sarkasmus begegnen kann. Das freut mich einerseits, andererseits ist es mir auch irgendwie peinlich. Ich weiss nicht, es sind so persönliche Gedanken, die ich darin verarbeitet habe und ich weiss nicht, ob man diese auch richtig versteht. Vor allem weil die Bilder und Gedanken darin zum Teil ziemlich makaber sind.

Diese Kröte hat bei uns, meiner Ärztin und mir, kein leichtes Leben. Wir erfinden dauernd neue Möglichkeiten sie umzubringen. Ich weiss, das tönt brutal, aber es ist ein gutes Spiel, vor allem wenn man sich bewusst machen muss, dass sie gerade im Moment wieder zu viel Macht im Leben hat und man wieder gegen sie kämpfen soll. Mir hat dieser humorisitische und ironische Umgang mit der Krankheit oft geholfen. Auch wenn es sich oft schwer umsetzen lässt: es ist gut, ein Ziel zu haben und sich ein Bild davon zu machen, was man mit der Essstörung anfangen will.

Kröte. Sie zeigt inzwischen ein neues Gesicht. Sie hat gemerkt, dass ich stärker bin als sie und die Magersucht in gewisser Weise unter Kontrolle halten kann. Daher hat sie sich ein neues Mittel gesucht. Und eines gefunden. Binge Eating. Nun heisst es, neue Bilder von ihr anzufertigen, damit mir klar wird, dass ich gegen diese Störung genau so diszipliniert und voller Willen ankämpfen muss, wie gegen die Magersucht.

Also, liebe böse Kröte, auch wenn du jetzt zu fett bist, um in einen Astronautenanzug zu passen: Ich hol' mein Pferd und das verpasst dir einen so heftigen Tritt in den Hintern, dass du in hohem Bogen auf die Rückseite des Mond fliegst. Und wenn du dabei zu Grunde gehst, ist mir das ziemlich egal. Es gibt wichtigere Dinge in meinem Leben als du. Viel Spass beim Flug. Ich hoffe du brichst dir jeden Knochen einzeln. Oder zerfällst gleich zu Staub. So, fuck off.

Vorteil der Fresserei

Ich versuche immer noch aus allem, das mir im Leben geschieht etwas Positives zu ziehen.
Auch aus der Tatsache, dass ich ins Fressen gefallen bin. In den Fettnapf.
Denn es gibt durchaus positives Dinge, mit etwas Mühe zu finden, die es ein bisschen aufheitern können.


  • Der Stoffwechsel erholt sich. Plötzlich friert man nicht die ganze Zeit, sondern im Gegenteil, vergeht vor Wärme, während andere frieren.
  • Anfangs hat man eine ungebändigte Kraft, eine Energie, die bis in die Zehenspitzen geht.
  • Es ist irgendwie ein wunderschönes - wenn auch anfangs sehr beängstigendes Gefühl - die Kontrolle abzugeben. Ich habe drei Jahre mit perfekter Kontrolle gegessen, jedes Lebensmittel, das in meinen Mund wanderte wurde zuerst gewogen, gemessen, berechnet und dann für gut oder schlecht befunden. Es ist ein wahnsinnig befreiendes Gefühl am Esstisch oder im Restaurant zu sitzen und zu essen, was immer man will.
  • Man ist nicht mehr die Extrawurst.
  • Alle freuen sich, weil man endlich zunimmt - alle ausser ich; und ehrlichgesagt ist dieses "Kompliment" das Schlimmste, was mir gesagt werden kann. Es bestätigt mir nämlich, dass ich immer dicker werde, und dass genau das eingetreten ist, was ich immer vermeiden wollte. Aber ups, wir versuchen hier ja von den positiven Dingen zu sprechen.
  • mehr fällt mir leider nicht ein, der ganze Rest zermürbt mich nämlich. Inzwischen verstehe ich, wie es Menschen geben kann, die extrem übergewichtig sind. Ich meine, wenn sogar ich, eine ehemalige Mager- und Sportsüchtige es kaum schafft wieder in die alte Disziplin zu kommen, wie will es denn jemand schaffen, der diese Disziplin niemals gehabt hat? Darum. Es tut mir Leid, dass ich all die dicken Menschen immer als schwach betrachtet habe. Ich glaube nämlich nicht, dass alle sich das selbst ausgesucht habe. Ich habe es mir bestimmt nicht so ausgesucht - und trotzdem ist es passiert.
Ich könnte dauernd mit einem Fächer herumlaufen, weil mir ständig so heiss ist.




Tja, jetzt habe ich es wohl geschafft, einen positiven Post wieder in einen negativen zu verwandeln. Ich kann eigentlich nur einen Ratschlag geben: Es ist durchaus normal, dass man durch eine Magersucht eine Zeit lang zu fressen beginnt - der Körper schnappt sich einfach alles, er klinkt sozusagen das Gehirn aus - das ist also unter gewissen Bedingungen okay so. ABER: es muss irgendwann in ein normales Essverhalten übergegangen werden. Und zwar, bevor man an der Grenze des Übergewichts ist. Ich will damit sagen: Wenn man mal magersüchtig war, dann will man irgendwie sowieso wieder zurück zu einem gewissen Gewicht. Wenn man sich also unfreiwillig viele Kilos angefressen hat, dann haben nur wenige von uns die Stärke aus dieser Fresserei in ein normales Essverhalten überzugehen. Eigentlich wäre dies erwünschenswert, aber es ist - jedenfalls für mich - eher unrealistisch. Denn wenn ich es erst einmal schaffe nicht mehr alles in mich hinein zu stopfen, dann werde ich die Chance nutzen und so schnell wie möglich all die angefressenen Kilos wieder loswerden. Durch Hungern. Ich weiss, das ist nicht das, was angestrebt werden sollte. Aber hallo? Ich bin eine Magersüchtige, die inzwischen in einem fetten Körper steckt. Da glaubt doch nicht wirklich jemand daran, dass ich dieses Gewicht halten will. Also muss es weg. Und logischerweise ist es mir dann auch unmöglich eine normale Ernährung aufzunehmen.

Und somit wären wir beim Leben in Extremen. Entweder ich hungere oder ich fresse. Etwas dazwischen finde ich nicht (jedenfalls nicht dauerhaft), weil ich alle Probleme über das Essen regle. Also kann ich entweder nicht esse und magere ab oder ich fresse mich voll und specke zu. Das eine oder das andere Extrem. Jetzt befinde ich mich im oberen Extrem. Und wenn ich nun eine Balance finden würde, dann würde das bedeuten, dass ich so bleibe, wie ich jetzt bin. Und da das für mich nicht auszuhalten ist, werde ich in dieser Situation auch nicht in ein normales Verhalten zurückfinden.
Vom anderen Extrem aus, vom Magersucht-Extrem, ist es bedeutend einfacher. Das habe ich mir bereits einmal bewiesen. Also wird mein Weg mich vorerst wieder zurück in das Extrem der Magersucht führen, bevor ich vielleicht endlich eine Mitte zwischen beiden Extremen finde.
Ich weiss, es tönt abartig. Ich habe das Gefühl, ich klinge wie eine von diesen Pro Anas. Aber wie soll ich das anders erklären? Meine Welt steht Kopf und die einzige Zeit, in der es mir einigermassen gut ging, war als ich noch magersüchtig war (vom Gewicht und vom Verhalten her) aber trotzdem genug gegessen habe. Daher ist es nur logisch, dass ich wieder zu diesem Punkt zurück möchte.
Dass es mir vielleicht auch mit diesem Gewicht jetzt und einer normalen Ernährung gut gehen könnte, ziehe ich nicht in Betracht, weil ich so nicht sein will und sein kann.

Jeden Morgen aufstehen und sich nicht nur schrecklich, sondern auch noch fett und schwabbelig zu fühlen, das halte ich nicht mehr lange aus. Und darum, so blöd es auch klingt und so schöne Folgen das viele Essen auch hat: Es muss aufhören. Sonst endet es irgendwann in krankhaftem Übergewicht. Und wer weiss. Vielleicht muss ich auch nicht mehr ganz runter mit dem Gewicht, bis ich mich wohl fühle. Das ist für mich alles was zählt: ich muss mich wohlfühlen in meinem Körper. Wann dieser Punkt erreicht ist, weiss ich nicht. Manchmal sind 48 zu viel, manchmal fühle ich mich mit 53 gut, früher war 58 schon ein gutes Gefühl. Wer weiss, wo ich dieses Mal hingelangen werde. Mein Ziel ist aber auf jeden Fall nicht, wieder so magersüchtig zu werden wie früher. So wie ich jetzt die Notbremes ziehen muss, weiss ich auch, dass ich bei der Magersucht irgendwann die Notbremse ziehen muss. Es geht mir nicht darum, wieder krankhaft dünn zu werden. Alles was ich will, ist wenigstens das Problem mit meinem Körper loszuwerden - und dann endlich nicht mehr alles Probleme über das Essen zu lösen.

Darum: keep on fighting, stay strong.

Folgen der Magersucht vs. Folgen des Binge Eating

So habe ich die Folgen der Magersucht erlebt:




- starker Haarausfall
- Babyflaum am ganzen Körper
- ständiges Frieren, auch im Sommer
- Schmerzen beim Sitzen und Liegen, weil man auf den Knochen sitzt/liegt
- ständiges Schwindelgefühl, Ohnmacht
- extreme Erschöpfung und Schwäche
- extrem krankes Verhältnis zum Essen
- ständige Gereiztheit, wenn es um Essen ging
- ständiges Kochen und Backen für andere, ohne selbst davon zu essen
- Herzrasen
- Atemnot
- ständige Kopfschmerzen
- kein Hunger- oder Sättigungsgefühl mehr
- Verlust beinahe aller sozialer Kontakte
- schlechte Konzentrationsfähigkeit
- sehr schlechte Wundheilung
- extremer Muskelschwund
- Panik vor Essen
- starker Sportzwang
- extreme Schlafstörungen
- ständige Müdigkeit, Bedürfnis nur noch zu Schlafen
- heftige Gelenkprobleme, weil Muskeln und Bänder nicht mehr richtig stützen
- Verlust der Freude an Dingen, die immer Spass gemacht haben
- ständige Aphatie
- starke Verdauungsstörungen
- alles ist einfach nur anstrengend

aber: all diese Nebenwirkungen habe ich ziemlich verdrängt, denn ich bin eine Meisterin der Verdrängung. Ich bin irgendwie blind und taub dafür geworden, was in meinem Körper vorgeht. Ich habe es einfach ignoriert und kaschiert.





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So erlebe ich die Folgen des Binge Eatings:





- ständiges Hitzegefühl
- ständiges Schwitzen
- Durchfall
- Sodbrennen
- Gelbe Zunge
- ständige Müdigkeit
- extreme Schlafstörungen
- starke Depressionen
- extreme Antriebs- und Lustlosigkeit
- ständige Beschäftigung mit Essen
- ständige Bauchschmerzen
- Herzrasen
- Atemnot
- kein Sättigungsgefühl
- Muskelverlust, dafür Fettzunahme
- Faulheit
- Mangel von Disziplin
- Verlust der Freude an Dingen, die immer Spass gemacht haben
- starke Verdauungsstörungen
- alles ist anstrengend, vor allem sich zu bewegen, weil man plötzlich so viel mehr wiegt
- starke Gelenkschmerzen (kann z.B nicht mehr in die Knie gehen)
- Schmerzen beim Sitzen und Liegen, weil man plötzlich Speckrollen hat, die eingequetscht werden
- ständige Kopfschmerzen
- ständiger Hunger, der kaum auszuhalten ist
- extrem krankes Verhältnis zum Essen (Verheimlichung, alles in sich hineinstopfen, etc.)

All diese Veränderungen spüre ich extrem. Und: ich sehe keinen grossen Unterschied zur Magersucht. Mir geht es genau so schlecht, eigentlich noch schlechter, weil ich in diesem Körper nicht leben kann. Als Magersüchtige fühlte ich mich nicht wie ein Jumbo-Jet. Jetzt fühle ich mich wie ein aufgepumpter, ausgeweiteter und mit Fett gefüllter A380.

Ich will damit nicht sagen, dass man besser magersüchtig ist. Nein, vielmehr zeigt dies für mich, dass sich Essstörungen eigentlich nicht voneinander unterscheiden. Von gewissen Einzelheiten einmal abgesehen. Aber schlussendlich bleibt der Grund, die Ursache, weshalb man essgestört ist, dieselbe. Es spielt also irgendwie keine Rolle, ob magersüchtig oder binge eating. Ich persönlich definiere mich jedoch über die Magersucht, mit dieser Essstörung konnte ich mich einigermassen anfreunden - auch weil ich sie mit der Zeit ziemlich gut im Griff hatte. Ich konnte untergewichtig sein, obwohl ich ass und ich begann Schritt für Schritt ein gutes Selbstvertrauen aufzubauen. Das ist nun alles in die Brüche gegangen. Ich will keine Lobeshymne auf die Magersucht schwingen - die Folgen sind vielleicht sogar gravierende als die des Binge Eating - aber ich will auch zeigen, dass es nicht besser ist, sich ständig zu überessen.

Es wäre erstrebenswert wieder ein Mittelding zu finden. Und das ist, was ich anstrebe. Ich muss wegkommen vom Binge Eating - und aus Erfahrung kann ich sagen, dass ich das auf moderate Weise nicht schaffe, das heisst für mich also: wieder hungern können. Und sobald ich das wieder kann und ein Gewicht habe, mit dem ich mich arrangieren kann, werde ich langsam wieder an den Punkt zurückkehren, bei dem ich während meiner Magersucht bereits einmal war: dünn sein und trotzdem gesund essen. Vielleicht nicht einfach das, was man will, aber wenigstens so, dass der Körper all seine Nährstoffe bekommt. Das ist mein Ziel, und dafür arbeite ich jeden Tag - auch wenn ich immer wieder versage. Ich weiss, es kommt der Tag, an dem es klappt. (Leider muss der in den nächsten Tagen kommen, weil mir bis Kanada nur noch drei Monate bleiben. Drei Monate für 22-24 Kilo. Ich weiss nicht mal, ob das zu schaffen ist. Und ja, ich weiss wie ungesund es ist. Aber glaubt mir. So wie es jetzt ist, halte ich es nicht mehr länger aus. Also lieber dünn und nicht mehr ganz so lebensmüde, anstatt dick und bald tot.


Eine reglose Versagerin

Ich weiss nicht, wie ich so geworden bin. So faul, undiszipliniert, erschöpft und schwach. Plötzlich war ich ein anderer Mensch, jemand, den ich so noch nicht kennengelernt hatte. Jemand, der plötzlich keine Lust und Energie mehr hat etwas mit seinem Leben anzufangen.




Jetzt bin ich dick und mir geht es so schlecht, wie noch nie. Jedenfalls fühlt es sich so an. Ich kriege meinen Arsch nicht mehr hoch, komme nicht aus der Suppe raus, die ich mir eingebrockt habe. Alles, was ich tue, ist in meinen Gedanken zu leben. Gedanken, die ganz klar immer noch magersüchtig sind. Es sind immer noch die gleichen Gedanken, wie vor drei, vier Jahren. Aber ein wichtiger, gewichtiger Punkt hat sich verändert.

Anstatt, dass ich sie umsetze, lasse ich mich treiben und von irgendeiner Macht lenken, von der ich nicht weiss, woher sie kommt. Es fühlt sich an, als hätte ein fremdes Bakterium, ein Virus mich ergriffen, das nun mein Gehirn manipuliert und mich an Orte lenkt, an die ich nicht gehen will.

Ich esse, bevor ICH überhaupt reagieren kann. Denn es fühlt sich nicht so an, als würde ich noch die Entscheidung darüber treffen, ob ich ess oder nicht. Also, doch. ICH entscheide darüber, dass ich nicht essen mag, weil es mir schlecht geht. So habe ich das immer gemacht. Aber dann kommt irgendwas in meinem Kopf und schafft es mich zu betäuben, so dass ich schwach werde, keinen Widerstand leiste, mich dem Essen hingebe - und gar nicht merke, was ich tue.

Ich sitze also da, esse, esse, esse - und fühle mich taub. Innerlich schreit irgendwas: "Hör auf! Du brauchst das nicht! Es macht dich nicht glücklich!" Aber diese Stimme wird erstickt, ich weiss nicht wodurch.

Ich fühle mich getrennt von mir selbst. So unterschiedlich waren die zwei Persönlichkeiten in mir noch nie. So unterschiedlich. Ich will meine alte Persönlichkeit wieder, die, mit der ich umgehen konnte. Aber sie ist im Augenblick so schwach, verführt durch das plötzliche Wissen, wie all das Essen schmeckt. Ich hatte es über die Jahre vergessen. Jetzt weiss ich es wieder und dieses Etwas in mir, das meine Handlungen steuert, weiss mich damit zu ködern.

Im Nachhinein, wenn ich aus der Trance erwache und wieder zu MIR komme, verkrampfe ich mich, schreie, tobe - innerlich. Ich begreife nicht, wieso ich das wieder getan habe. Ich weiss doch, dass mir Fressen nichts bringt. Es beruhigt mich vielleicht für einen kurzen Augenblick, aber dafür fühle ich mich danach umso schlimmer.

Ich schaue mich an, innerlich und äusserlich, verstehe die Welt nicht mehr und weiss: Ich bin eine Versagerin. Noch schlimmer als früher. Alles entgleitet mir. Es gibt nichts mehr, dass ich noch im Griff habe. Früher konnte ich wenigstens das Essen, meine Bedürfnisse und meinen Körper kontrollieren. Früher war ich ein As in der Schule, mit einer Konzentrationsfähigkeit und einer Schnelligkeit, die ich nun vermisse. Es geht nichts mehr. Alles, worüber ich mich und mein Leben definiert habe, ist verschwunden.

Und so sitze ich da, reglos, eine Versagerin und wünsche mir, dass mein Leben endet. Ich wäre nicht traurig, wenn mich im nächsten Augenblick ein Lastwagen zu Tode fahren würde. Aber dann denke ich, wie feige das wäre und sage mir: "Alles, was dir übrig bleibt, ist zu kämpfen. Jeden Tag von Neuem, bis du dein Leben wieder in der Hand hast."

Verdammt, geht das noch lange? Wie viele Tage des Versagens kommen noch? Wann schaffe ich es endlich wieder mich durchzusetzen.

Niemals hätte ich gedacht, dass ich mich jemals so machtlos fühle. Niemals. Egal was ich tue, es funktioniert nicht - und das ist es, was mir Angst macht.
Früher konnte ich nicht essen, früher war jede Kalorie, die über dem Limit war, eine riesige Gefahr. Heute kann ich essen, aber finde das richtige Mass nicht mehr. Und egal, was ich versuche, ich bin machtlos gegen den Zwang alles in mich hineinzustopfen, was auf irgendeine Weise essbar ist.

Wie bin ich nur hierher gekommen?

Freitag, 5. April 2013

Auf die Plätze, fertig ... lauf!

So fühle ich mich irgendwie jeden Abend von Neuem. Ich nehme mir mit ganzem Herzen vor, dass ich es ab morgen schaffen werde. Keine Fressanfälle. Nicht mehr schwach werden. Nicht mehr unkontrolliert alles in mich hineinstopfen - ohne es dann wieder rauszukotzen.

Früher, als es angefangen hat und ich noch viel stärker in den Strukturen der Magersucht gesteckt habe (das war eigentlich bis zu einer Woche anfangs Februar, in der ich kein Sport machen konnte und im Hotel am Buffet allyoucaneat voll auskosten wollte - immerhin hatte ich ja dafür gezahlt. Was für eine tolle Ausrede. Achtung, Ironie!), habe ich jeden Essanfall mit Sport kompensiert. Das war nicht so einfach, denn ich musste die Exzessivität vor meiner Familie verstecken. Nicht einfach. Vor allem nicht, wenn man nicht nach draussen kann, um zu laufen, weil das Glatteis mir sonst die Fresse poliert hätte. Oh Gott, was benutze ich eigentlich für vulgäre Ausdrücke. Ich schiebe das jetzt mal auf die Anonymität des Internetzeitalters. Ja, jedenfalls. Vor einigen Wochen noch hatte ich zwar oft solche Fressanfälle, aber zwischendurch habe ich es mehr oder weniger geschafft durch Hungern das wieder etwas auszugleichen. Klar, ich habe zugenommen wie ein Mastschwein, das die ganze Futtertonne für sich alleine hatte (kein Wunder, bei den Mengen an kalorienbombigen Dingen, die ich in mich hineingestopft habe). Schliesslich habe ich zuvor ungefähr bereits dreiviertel Jahre aus Hungern und Fressen hinter mir. Wobei damals das Hungern noch weeeeeitaus überwogen hat.

Hm, vielleicht sollte ich mal posten, wie ich überhaupt ins Binge Eating (ich denke mal, dass man das so bezeichnen würde) gerutscht bin. Ich will euch keine Angst machen, das muss euch nicht passieren. Und ehrlich gesagt. Ich hätte never ever geglaubt, dass dies jemals mir passieren konnte. Ganz am Anfang, als ich in die Klinik eingeliefert wurde, hat meine (in meinen Augen unfähige) Therapeutin (weil sie mir alle Worte im Mund umgedreht und dauernd nur auf meiner Mutter rumgehackt hat, obwohl ich ihr tausendmal gesagt habe, dass meine Mutter NICHT das Problem ist.. Mein Gott, ich wusste ja selbst nicht, wieso ich in die Magersucht gerutscht bin, woher also sollte eine fremde Person, die mich erst einmal gesehen hat, das wissen?) Mist, schon wieder vom Thema abgekommen, sorry. Also, wo war ich noch gleich? Moment. Genau, meine Therapeutin hat mir riesige Angst gemacht. Ich war damals gerade dabei ein bisschen Mut zu schöpfen, um vielleicht doch gesund zu werden. In der ersten Therapiestunde hat sich mir dann allerdings gleich unter die Nase gerieben, dass die meisten (ihre Worte) Magersüchtigen danach in die Bulimie oder ins Binge Eating rutschen. Ich war absolut geschockt. Und ich habe die Therapie bei ihr dann auch irgendwann abgebrochen, einfach so als Nebenbemerkung.

Ja. Ich schaffte es trotzdem irgendwie mit der Magersucht einen Art "Gesundheitspakt" zu schliessen. Es dauerte eine Weile, aber ich hatte einen starken Willen und gab trotz aller Gefühle, die auf mich einprasselte, nicht auf für mein Leben (das ich eigentlich nie wirklich gehabt habe, aber das ist eine andere Geschichte) zu kämpfen.

Ja, ich war nie wirklich eine dünne Magersüchtige - jedenfalls nicht in meinen Augen. Ich hatte "Glück" in dem Sinne, dass meine Mutter relativ schnell kapiert hat was los ist und mich in Behandlung gesteckt hat. Trotz allem ging es immer weiter bergab und als ich verweigerte zu trinken (ich tat das nicht mit Absicht, ich konnte einfach nicht mehr, sowohl physisch als auch psychisch) wurde ich für relativ kurze Zeit in die Klinik eingeliefert. Mein Tiefstgewicht von 45 Kilo war erreicht. In meinen Augen noch immer zu fett, aber ich wusste, dass ich etwas ändern musste, wenn ich a) nicht noch länger in diesem Krankenhaus verbringen will und b) im Sommer mit in mein Traumland Kanada möchte.

Oh mein Gott, was hatte ich für Disziplin. Im Nachhinein habe ich keine Ahnung, wie ich das drei Jahre lang so eisern durchziehen konnte ohne auch nur EINMAL einen Fressanfall gehabt zu haben.

Ich begann langsam wieder zu essen, Schritt für Schritt immer ein bisschen mehr. Leider erreichte ich nie eine konstante Gewichtszunahme, deshalb verdanke ich es eigentlich nur meiner phänomenalen Ärztin, dass man mich nicht doch für längere Zeit in die Klinik gesteckt hat.

Jedenfall ging ich nach Kanada, nahm dort wieder zwei Kilo ab ohne es zu wollen und hielt das Gewicht von 48 Kilo bis zu meinem schweren Reitunfall. Dann verlor ich innert kürzester Zeit drei Kilo und war wieder soweit wie im Krankenhaus. Ich wusste, dass ich essen muss, wenn mein Rückenbruch heilen soll - und zudem war ich so erleichtert darüber, dass ich nicht querschnittsgelähmt war (es war wirklich knapp), dass ich beschloss in meinem Leben endlich einen entscheidenden Schritt zu tun.

Vorher hatte ich einfach genau so viel gegessen, dass ich weder zunehme noch abnehme. Es war eigentlich ein absolutes Minimum. Ein Mensch auf Diät hätte mehr gegessen. Ich weiss nicht, was alles dazu führte, aber ich entschied mir in wenigen Wochen (nach ausführlicher Recherche), dass ich einfach alles auf eine Karte setzen würde. Ich beschloss von diesem Zeitpunkt an so viel zu essen, wie eine Frau meines Alters und meiner Grösse eigentlich brauchen würde.

Klar, ich nahm zu, aber nur langsam. Irgendwann war ich zwischen 52 und 53 Kilo und fühlte mich erstaunlicherweise ziemlich wohl. Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass ein paar Rundungen doch nicht so schlecht wären. Aus eigenem Antrieb heraus habe ich mich damals dazu entschieden etwas zuzunehmen. Ich war so stolz, auch wenn ich irgendwie das Gefühl hatte Kröte betrogen zu haben.
Aber das Leben war so viel besser. Es war ein Kompromis, aber er funktionierte. Ich überliess Kröte die Verantwortung dafür was, wann, und wo ich esse, aber ICH bestimmte wie viele Kalorien am Tag es sein sollten. Das heisst, ich ass unglaublich kontrolliert, was meinen magersüchtigen Teil beruhigte, aber auch so viel, dass ich wieder mehr Energie und Lebensfreude hatte. Irgendwann konnte ich wieder Dinge essen, die vorher der absolute Horror für mich gewesen wäre. Und das sogar ohne ein schlechtes Gewissen, denn ich wusste ja, dass es in der "erlaubten Kalorienzone" war - und dass ich sowieso immer tendenziell weniger ass, als ich mir eigentlich erlaubte.

Ja, diese Phase meines Lebens dauerte so lange, bis die plötzliche Lebensfreude, die ich erlangt hatte, der Depression wieder Platz machen musste. Ich wurde zusehends trauriger und lebloser und somit verschwand auch das gute Körpergefühl. Ich nahm ab, war wieder 50 Kilo. Das ist keine starke Abnahme, aber bei dem Gewicht merkt man drei Kilo sofort. Ich war einerseits stolz auf mich, weil ich immer noch Hungern konnte, andererseits vermisste ich bereits meine regelmässige und sichere Ernährungsweise, die ich mir mit so viel Mühe angewöhnt hatte.

Und dann passierte es. Mir kam der Gedanke, dass sich ein Kilo ja schnell wieder abnehmen lässt. Wieso also nicht einfach mal an EINEM EINZIGEN TAG alles essen, was ich will. Drei Wochen lang googlete ich die Folgen solcher Fresstage, ging immer wieder im Kopf durch, was ich tun sollte. Aber irgendwann war der Drang danach so gross, dass ich beschloss einen Tag zu machen, an dem ich essen darf, was ich will. Die einzige Bedingung war, dass ich in der Woche danach so lange hungern musste,  bis ich das Ausgangsgewicht wieder erreicht hatte. Ich dachte, dass das ohne Problem funktioniert. Dachte daran, dass ich das von jetzt an einfach einmal im Jahr mache. Ich rechnete nicht damit, dass ich nun, nach drei Jahren ohne Fressen doch die Kontrolle verlieren würde.

Das merkwürdige daran ist, wie es angefangen hat. Anfangs, sagen wir von Mai bis Dezember 2012 waren es sehr kontrollierte Fressanfälle. Erstens durften sie nur stattfinden, wenn ich genug abgenommen hatte, dies wiederum hiess, dass ich wochenlang hungerte, was nicht einfach ist, da meine Eltern ein scharfes Auge auf mein Essverhalten haben. Zweitens wurde alles bis ins letzte Detail geplant. Was ich kaufe, was ich koche, was ich backe, wann ich was esse, wie ich was esse, welchen Film ich schauen will, wie viel Sport ich mache in der Woche danach, etc. Drittens waren die Abstände zwischen den Fressanfällen damals noch viel grösser, weil ich ja nicht einfach so eine Fressattacke bekam, sondern weil ich es plante und mir nur "erlaubte" wenn das Gewicht stimmte. Ich glaube, dass dies vielleicht eine Art Bulimie gewesen ist. Ich hatte Fresstage und das Gewicht, das ich dabei zugelegt habe, nahm ich mit Hungern und exzessivem Sport wieder ab.

Aber dann geriet plötzlich alles ausser Kontrolle. Nach Weihnachten wusste ich, dass ich in den nächsten Ferien nicht zu Hause sein durfte. Erstens wollte ich das Gewicht, dass ich zugenommen habe (damals war ich innert zwei drei Wochen von 48 auf 53 gesprungen), wieder abnehmen. Zweitens wusste ich, dass ich, wenn ich in den Ferien zu Hause bin, Fressanfälle haben würde. Denn inzwischen hatte ich sie bereits nicht mehr so im "Griff", wenn man das so bezeichnen kann, wie in den Monaten davor. Die Entscheidung zum ersten Mal alleine zu verreisen war sozusagen das Todesurteil für mein schlankes Ich, mit dem ich mich so stark identifiziert hatte.

Anstatt die ganze Woche nur zu Schreiben, zu Lesen und zu Entspannen - und dabei nichts zu essen - tat ich nichts anderes als alles, was mir in die Finger geraten konnte zu verschlingen. Ich war in einer kleinen Stadt und überall waren diese Bäckereien, Konditoreien, Märkte. Es machte mich wahnsinnig. Und meistens fing es schon am Morgen an. Im Zimmerpreis einbegriffen war ein riesiges Frühstücksbuffet - und da ich ein sehr sparsamer Mensch bin, fand ich es doof nichts von dem zu essen, wofür ich gezahlt hatte. Ich stopfte mich also schon beim Frühstück voll. Es ging den ganzen Tag weiter. Sogar so sehr, dass ich mich einmal übergeben musste. Das tönt für Bulimiker nicht schlimm, für mich ist es jedoch der Horror, da ich seit der Kindheit an einer Kotzphobie leide. Darum bin ich auch eine Binge Eaterin und keine Bulimikerin. Ich kann nicht kotzen. Das ganze Fressen bleibt drin und setzt schön (hässlich!) an.

Jedenfalls, wenn ich daran zurückdenke, bin ich schon da durchgedreht, weil ich auf 55 zugenommen hatte in einer Woche. Ich wünschte, ich hätte damals gewusst, wo es mich noch hinführen würde und ich wünschte, ich hätte damals geschafft die Notbremse zu ziehen.

Ich habe es nicht geschafft. Im Gegenteil. Es wurde so schlimm wie noch nie. Inzwischen gibt es keinen Tag, an dem ich mich nicht völlig überesse. Es ist nicht einmal mehr so, dass mir dieses Essen besonders schmeckt. Ich habe einfach diesen Drang etwas zu essen. Es beruhigt mich, wenn ich es tue, es lenkt mich ab von all den Gefühlen, die in mir stecken. Dieses Verhalten, dieser Versuch alles in meinem Leben verschwimmen zu lassen, hat dazu geführt, dass ich inzwischen stolze 72 Kilo wiege. Ein BMI von 23-24. Ich war noch nie in meinem ganzen Leben so fett. Das heisst nicht, dass ich andere Menschen mit diesem Gewicht fett finde, das ist ja das merkwürdige, aber an mir selbst ist jedes Kilo zu viel eine Tonne zu viel. Mit 48 Kilo fühlte ich mich am oberen Ende des Normalgewichts (meistens zumindest), mit 52-53 Kilo fühlte ich mich wie eine sehr kurvige Frau (und für kurze Zeit gefiel mir dieses Gefühl), mit 54 fühlte ich mich bereits übergewichtig. Und jetzt? Mit 72? Dafür finde ich keine Worte mehr. Alles, was ich fühle, wenn ich darüber nachdenke oder mich im Spiegel betrachte (was ich zu vermeiden versuche) ist ein abgrundtiefer Hass und eine riesige Wut gegen mich selbst. Dabei hilft weder das Ritzen noch der Missbrauch von Medikamenten. Alles, was ich will ist entweder, dass alles aufhört indem ich endlich sterbe oder, dass alles aufhört indem ich mich wieder in Griff kriege und - ehrlich gesagt - wieder magersüchtig werde. Ich persönlich denke, dass ich im Kopf immer noch magersüchtig bin - das Gewicht sagt ganz deutlich etwas anderes. Aber ihr alle, die auch damit zu kämpfen habt, wisst, dass mehr das, was in deinem Kopf vorgeht die Magersucht ausmacht, als das, was mit deinem Körper los ist. Ich hungere jeden Tag, schaffe es bis abends und dann hält mir irgendwer mein Lieblingsbrot vor die Nase. Und weil ich weiss, wie gut es schmeckt, schmeisse ich alles hin und esse mich voll. Früher, als ich noch richtig magersüchtig war, hätte ich das niemals getan, auch, weil ich gar nicht mehr wusste, wie gut all die Dinge schmecken, die ich mir jahrelang verboten habe. Durch die Fresstage habe ich den Geschmack für diese "verbotenen" Dinge wieder entdeckt - und wenn man erst einmal weiss, wie gut sie schmecken, dann ist es viel schwieriger zu widerstehen.

Ich ass, weil ich zu viele Gefühle hatte, aber auch, weil ich eigentlich mal ein Mädchen war, das Essen geliebt hat. Trotzdem. Dieses Verhalten ist genauso schädlich wie jede andere Essstörung. Und das Schlimme daran ist, dass es genauso ein Teufelskreis ist, wie die Magersucht.

Es gibt einen Satz, den ich mir in den letzten drei Monaten immer wieder gesagt habe: "Heute darfst du noch, aber ab morgen ziehst du deine Pläne voll durch." Leider ist jedes "Morgen" ein "Heute" und somit merkte ich irgendwie, in meiner totalen Versunkenheit in meine Depression nicht, dass ich innert kürzester Zeit unglaubliche 24 Kilo zugenommen hatte und das nur weil ich mir immer wieder gesagt habe: "Nur noch heute."

Dieses Überessen ist genau so ein Rettungsanker in der Depression, wie die Magersucht es für lange Zeit gewesen ist.

Und daher weiss ich: Auch dieses binge-eating-Verhalten ist Teil der Kröte. Schlussendlich ist es ihr egal, ob ich mein Leben und meine Gefühle durch Nicht-Essen oder durch Über-Essen betäube - hauptsache ich betäube sie. Ich fresse also nicht aus physiologischen, sondern aus psychologischen Gründen. Und obwohl ich das weiss, schaffe ich es nicht, damit aufzuhören.

Ich mache Listen, Pläne, Verbote, Belohnungen, Listen, Pläne, Verbote, Belohnungen. Es bringt nichts. Ich schaffe es nicht den Teufelskreis zu durchbrechen. Irgendetwas in mir ist so stark, dass es meinen Wille jeden Tag aufs neue brechen kann.

Und so sitze ich hier, vollgefressen, weil ich wieder versagt habe, bin fest überzeugt davon, dass ich es ab morgen schaffe, dass ich aufhöre, dass ich wieder zurück zu meiner zierlichen, grossen, langen Figur komme, in der ich mich, im  Nachhinein betrachtet, wenigstens einigermassen wohl gefühlt habe. Aber gleichzeitig habe ich auch Angst. Angst davor, dass ich morgen die Kurve nicht kriege und es irgendwann zu spät ist und ich übergewichtig werde. Somit würde sich genau das erfüllen, was ich über drei Jahre lang versucht hatte durch beherrschtes, kontrolliertes Essen zu vermeiden.

Ich habe es tatsächlich geschafft, alles, was ich mir über die letzten Jahre so hart erkämpft hatte, den ganzen psychischen und selbstbewussten Fortschritt, innert weniger Monaten komplett zur Sau zu machen. Ich habe wieder einmal ganz fürchterlich versagt.

Alles, was mir nun bleibt, ist zu hoffen, dass morgen mein Tag wird. Wie jeden Tag werde ich wieder alles darum geben, dass ich es schaffe. Irgendwann wird dieses alles genug sein.