Samstag, 6. April 2013

Eine reglose Versagerin

Ich weiss nicht, wie ich so geworden bin. So faul, undiszipliniert, erschöpft und schwach. Plötzlich war ich ein anderer Mensch, jemand, den ich so noch nicht kennengelernt hatte. Jemand, der plötzlich keine Lust und Energie mehr hat etwas mit seinem Leben anzufangen.




Jetzt bin ich dick und mir geht es so schlecht, wie noch nie. Jedenfalls fühlt es sich so an. Ich kriege meinen Arsch nicht mehr hoch, komme nicht aus der Suppe raus, die ich mir eingebrockt habe. Alles, was ich tue, ist in meinen Gedanken zu leben. Gedanken, die ganz klar immer noch magersüchtig sind. Es sind immer noch die gleichen Gedanken, wie vor drei, vier Jahren. Aber ein wichtiger, gewichtiger Punkt hat sich verändert.

Anstatt, dass ich sie umsetze, lasse ich mich treiben und von irgendeiner Macht lenken, von der ich nicht weiss, woher sie kommt. Es fühlt sich an, als hätte ein fremdes Bakterium, ein Virus mich ergriffen, das nun mein Gehirn manipuliert und mich an Orte lenkt, an die ich nicht gehen will.

Ich esse, bevor ICH überhaupt reagieren kann. Denn es fühlt sich nicht so an, als würde ich noch die Entscheidung darüber treffen, ob ich ess oder nicht. Also, doch. ICH entscheide darüber, dass ich nicht essen mag, weil es mir schlecht geht. So habe ich das immer gemacht. Aber dann kommt irgendwas in meinem Kopf und schafft es mich zu betäuben, so dass ich schwach werde, keinen Widerstand leiste, mich dem Essen hingebe - und gar nicht merke, was ich tue.

Ich sitze also da, esse, esse, esse - und fühle mich taub. Innerlich schreit irgendwas: "Hör auf! Du brauchst das nicht! Es macht dich nicht glücklich!" Aber diese Stimme wird erstickt, ich weiss nicht wodurch.

Ich fühle mich getrennt von mir selbst. So unterschiedlich waren die zwei Persönlichkeiten in mir noch nie. So unterschiedlich. Ich will meine alte Persönlichkeit wieder, die, mit der ich umgehen konnte. Aber sie ist im Augenblick so schwach, verführt durch das plötzliche Wissen, wie all das Essen schmeckt. Ich hatte es über die Jahre vergessen. Jetzt weiss ich es wieder und dieses Etwas in mir, das meine Handlungen steuert, weiss mich damit zu ködern.

Im Nachhinein, wenn ich aus der Trance erwache und wieder zu MIR komme, verkrampfe ich mich, schreie, tobe - innerlich. Ich begreife nicht, wieso ich das wieder getan habe. Ich weiss doch, dass mir Fressen nichts bringt. Es beruhigt mich vielleicht für einen kurzen Augenblick, aber dafür fühle ich mich danach umso schlimmer.

Ich schaue mich an, innerlich und äusserlich, verstehe die Welt nicht mehr und weiss: Ich bin eine Versagerin. Noch schlimmer als früher. Alles entgleitet mir. Es gibt nichts mehr, dass ich noch im Griff habe. Früher konnte ich wenigstens das Essen, meine Bedürfnisse und meinen Körper kontrollieren. Früher war ich ein As in der Schule, mit einer Konzentrationsfähigkeit und einer Schnelligkeit, die ich nun vermisse. Es geht nichts mehr. Alles, worüber ich mich und mein Leben definiert habe, ist verschwunden.

Und so sitze ich da, reglos, eine Versagerin und wünsche mir, dass mein Leben endet. Ich wäre nicht traurig, wenn mich im nächsten Augenblick ein Lastwagen zu Tode fahren würde. Aber dann denke ich, wie feige das wäre und sage mir: "Alles, was dir übrig bleibt, ist zu kämpfen. Jeden Tag von Neuem, bis du dein Leben wieder in der Hand hast."

Verdammt, geht das noch lange? Wie viele Tage des Versagens kommen noch? Wann schaffe ich es endlich wieder mich durchzusetzen.

Niemals hätte ich gedacht, dass ich mich jemals so machtlos fühle. Niemals. Egal was ich tue, es funktioniert nicht - und das ist es, was mir Angst macht.
Früher konnte ich nicht essen, früher war jede Kalorie, die über dem Limit war, eine riesige Gefahr. Heute kann ich essen, aber finde das richtige Mass nicht mehr. Und egal, was ich versuche, ich bin machtlos gegen den Zwang alles in mich hineinzustopfen, was auf irgendeine Weise essbar ist.

Wie bin ich nur hierher gekommen?

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