Sonntag, 7. April 2013

Traurig, aber eigentlich müsste man glücklich sein

Ich werfe mir meine Traurigkeit und die Probleme, die ich im oder mit dem Leben habe, dauernd selbst vor. Wie kann es sein, dass jemand wie ich, die im Leben eigentlich alles hat, so undankbar traurig und depressiv sein kann?
Ich habe ein Dach, sogar ein schönes, naturfreundliches, über dem Kopf; ständig genug, sogar zu viel Essen; einen Ort, an dem ich mich bilden kann; eine Option einmal das zu studieren, was mich wirklich interessiert; die Möglichkeit meine Interessen auszuleben; Eltern, die alles für meine Geschwister und mich tun; wenige, aber gute Freunde, die mich nicht im Stich lassen; Geld, um mir meine Wünsche zu erfüllen; ich lebe in einem sicheren Land, lebe im Wohlstand. Kurz, es fehlt mir eigentlich an nichts.

Darum bin ich oft wütend über mich selbst. Warum bin ich so traurig? Warum bin ich so gestört? Warum kann ich nicht einfach normal sein? Warum kann ich nicht einfach das Leben geniessen? Warum muss ich mir so viele Gedanken machen? Warum kann ich nicht einfach mal zufrieden mit mir sein? Warum will ich perfekt sein, wo ich doch weiss, dass das unmöglich ist? Warum bin ich so verkrampft, verkorkst, verschroben? Warum, warum, warum?

Das blöde an diesen Gedankengängen ist, dass sie nur noch mehr deprimieren. Sie halten mir meine eigene Meinung, die ich von mir selbst habe, nur noch stärker vor Augen. Das Wissen oder die Erkenntnis, dass ich alles habe und dennoch unglücklich bin, weil es mir nicht an Materiellem, sondern an Immateriellem fehlt, beweist mir wieder einmal, wie unfähig ich bin. Welch' eine Versagerin doch in mir steckt. Ich weiss doch rein rational, was ich machen müsste, um zum Beispiel aus der Eßstörung heraus zu kommen. Warum aber schaffe ich das Notwendige nicht? Rein rational weiss ich so viele Dinge, erkenne so viel, aber es kommt nicht in meinem Herzen an und mein Herz bleibt somit traurig.

Was ich damit sagen will: obwohl ich oft selbst damit hadere und denke, dass ich kein Recht dazu habe, so zu sein, wie ich bin, muss man irgendwann von diesen Karussell der Gedanken wieder hinunter steigen und aufhören sich im Nachdenken und Anklagen zu verheddern.

Ganz nüchtern gedacht: Es bringt mir nichts, wenn ich mich selbst auch noch dafür anklage, das Leben nicht auf die Reihe zu bringen, obwohl ich doch alles habe, was man im Leben braucht. Denn, ganz offensichtlich scheint mir etwas zu fehlen, sonst wäre ich nicht traurig. Ich muss meine Traurigkeit also akzeptieren, so wütend es mich auch macht, dass ich bin, wie ich bin. Wenn ich mich dauernd selbst anklage, werde ich davon nicht glücklicher. Ich drehe mich also im Kreis und setze eine Spirale in Gang.

Ich versuche es, wenn ich denn nicht gerade auf dem Karussell der Gedanken angekettet bin, es so zu halten: Ich versuche meine Traurigkeit zu akzeptieren, aber nicht so, dass ich ihr einfach mein Leben überlassen. Es kommen immer wieder Phasen, in denen ich alle meine Energie zusammenkratze und versuche meine Traurigkeit aufzulösen. Ich arbeite an mir und ich arbeite hart. Aber obwohl ich die Traurigkeit akzeptiere, ignoriere ich nicht die Tatsache, dass ich dankbar sein kann, was mir im Leben alles gegeben wurde. So sehr ich manchmal mit meinem Leben abgeschlossen habe: Ich versuche immer dankbar dafür zu bleiben, dass ich dieses Wunder der Natur überhaupt erleben durfte. Und ich versuche auch dankbar zu sein für meine Traurigkeit, denn ohne sie hätte ich viele Dinge im Leben niemals gelernt, ohne sie wäre ich nicht so empfindsam, ohne sie, wäre ich nicht an der Stelle, an der ich heute bin.

Im Augenblick ist es für mich sehr schwer meine Traurigkeit zu akzeptieren. Ich finde auch keine Energie, um an mir selbst zu arbeiten. Aber das ist okay. Denn ich weiss, dass ich es in den Jahren davor immer wieder geta habe und ich weiss auch, dass es Zeiten gab, in denen ich einen Punkt im Leben erreicht hatte, der mich heute hoffen lässt, dass alles wieder besser wird.

Vielleicht bin ich im Augenblick etwas undankbar, verzweifelt und mit dem Leben irgendwie am Ende, aber ich versuche dennoch, mich selbst nicht vollkommen aufzugeben. Es reicht vielleicht im Moment bereits, wenn ich hin und wieder einen innerlichen Kampfgeist verspüre, denn ich weiss, dass der irgendwann so stark sein wird, dass ich meine Gedanken wieder in Taten umsetzten kann. Das ist der Kreislauf meines Lebens. Ich liege immer wieder einmal im Dreck, aber ich bin noch nie für immer liegen geblieben. Man findet immer einen Weg, solange man sich selbst nicht aufgibt. Und das tue ich nicht, denn ich weiss, was das Leben, das richtige Leben, das Leben mit dem wahren Ich, alles für mich bereit hält und dafür lohnt es sich zu kämpfen.

Und um nochmal zurück zum Thema zu kommen: dieser Punkt, das sich selbst vorwerfen, dass man nicht gut genug für dieses gute Leben ist, ist ein guter Übungsansatz. Schlussendlich geht es bei der Überwindung einer Eßstörung darum, dass man Dinge loslässt, die einem vielleicht eine Weile "geholfen" haben, aber nun nicht mehr nötig sind. Loslassen lernen. Ich denke zu lernen, gewisse Gedankengänge loszulassen, ist eine gute Vorübung für die grösseren Brocken, die man im Leben fallen lassen muss. Ich weiss, dass mir dieses Gedankenkarussell von "Ich sollte doch eigentlich glücklichsein..." nichts bringt, sondern mir das Leben nur noch schwerer macht. Es ist also ein Stein, der unnötig auf meinem Herzen liegt und mich bedrückt. Warum nicht einfach loslassen? Ich weiss, einfacher gesagt als gemacht, aber es kommen immer wieder die Momente, in denen man es schafft.

Loslassen, was man im Leben nicht braucht. Selbstvorwürfe bringen dich im Leben kaum weiter, also lass los. Und wie tue ich das? In dem ich, wenn ich mich bei Selbstvorwürfen ertappe, versuche wieder rational zu werden und zu akzeptieren, dass gewisse Dinge im Leben sind, von denen man denkt, dass man sie nicht haben darf.

Traurigkeit ist keine Schande. 


Ich darf also traurig sein, darf weinen, aber ich darf auch dankbar sein dafür, dass ich wenigstens was andere Dinge betrifft glücklich sein darf. Das Leben besteht nicht nur aus Traurigkeit oder Glück, es besteht aus beidem. Und keines von beidem ist verboten. Auch wenn man traurig ist, darf man hin und wieder glücklich sein. Und auch wenn man eigentlich glücklich ist, darf man hin und wieder traurig sein.

Traurigkeit ist keine Schande, denn sie gehört zum Leben dazu. Wenn man die Tiefen nicht kennt, weiss man die Höhen nicht zu schätzen.


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