Sonntag, 7. April 2013

70 Tage Fressen, 70 Tage Hungern (Achtung, Trigger!)

Ich hab' sie gezählt, die Tage, an denen ich mich sinnlos, lustlos bis obenhin mit Essbarem vollgestopft habe. 70 Tage sind es, seit es richtig heftig geworden ist. Ich bereue diese Tage zutiefst und schäme mich dafür, was ich getan habe oder tue. Und aus diesem Grund, weil ich so unersättlich und ausser Rand und Band war, habe ich mir vorgenommen, dieses Verhalten auf irgendeine Weise wieder gut zu machen. Ich habe lange überlegt, was ich tun könnte. Welches Leid, welche Bestrafung ich an mir ausüben könnte. Und schliesslich ist mir das eingefallen, was am naheliegensten ist. Wenn ich 70 Tage fressen konnte, dann kann ich auch 70 Tage hungern.

Und ja, ich weiss, dass meine Entscheidung unvernünftig ist. Aber erstens gibt sie mir einen Ansporn das Binge Eating wirklich zu bekämpfen und zweitens, muss ich sowieso in drei Monaten vierundzwanzig Kilo abnehmen.

Ich sage nicht, dass irgendwer von euch das auch tun sollte. Wenn ihr mich fragen würdet, was ihr machen sollt, würde ich euch solange bearbeiten, bis ihr von diesem Plan ablässt, weil ich weiss, welche Gefahren er mit sich bringt. Aber ich bin nicht ihr und ich verzeihe mir nichts. Ich habe einen unglaublichen Drang mich dafür zu bestrafen, dass ich mich in den letzten Monaten selbst so verloren habe und mich gehen liess. Das Hungern, ich vergöttere es nicht, weil ich gesehen habe, was für Schäden es anrichten kann, aber im Augenblick ist es die einzige Möglichkeit, wie ich vom Überessen loskommen kann. Ich habe es wochenlang auf weniger drastische Weise versucht. Es hat nicht funktioniert, weil ich, sobald ich einmal zu essen beginne, alles in mich hineinstopfe, was ich in den letzten Jahren nicht mehr gegessen habe. Es funktioniert nicht mit einem Mittelweg, sondern nur mit einem Extrem. Einem Extrem, das auf der gegenüberliegenden Seite der Skala liegt.

Und so beginnt morgen, zum hundersten Mal, der Versuch das Binge Eating, das Comfort Eating, endlich hinter mir zu lassen und dahin zurück zu kehren, wo ich das Gefühl habe, ich sei mich selbst. Niemals zuvor habe ich mich so weit von meinem Innersten entfernt und auf lange Zeit kann ich so nicht leben. In den letzten Monaten war ich wie in Trance, habe gar nicht begriffen, was mit mir passiert, was für gestörte Dinge ich tue. Aber inzwischen bin ich aufgewacht und auch wenn mich das Fressen immer wieder wie eine Schlafkrankheit überkommt und ich mich dagegen wehrlos fühle, weiss ich, dass ich durchgreifen muss. Ich kann nicht länger so weit von mir entfernt sein.

Ich weiss nicht, ob ihr versteht, was ich damit sagen will. Eigentlich denke ich einfach, dass jeder Mensch eine gewisse Verfassung, sowohl physisch als auch psychisch hat, bei der er am nächsten bei sich selbst ist. Bei mir ist schon seit Geburt vorprogrammiert, dass ich dünn und gross bin, mit etwas anderem musste ich nie leben, auch wenn ich oft das Gefühl hatte, auffallend dick zu sein. Aber jetzt, wo ich dick bin, merke ich, dass das nicht ich bin. Es hat nichts, aber auch gar nichts mit mir zu tun, dass ich kurvig und füllig bin. Es passt nicht zu mir, passt nicht zu meinem Charakter, meinem Innersten. Und darum habe ich auch das Gefühl, so weit wie noch nie von meinem Innersten entfernt zu sein. Daraus ziehe ich die logische Konsequenz, dass ich zuerst eine physische Balance finden muss, in der ich mich wohl fühle. Ich bin zum Beispiel ein Mensch, der laufen muss, ich brauche diesen Ausgleich. Aber mit diesem Gewicht kann ich nicht laufen. Es ist so viel Masse, die an meinen Knochen auf und ab schwabbelt, das ertrage ich nicht, und meine Gelenke halten der plötzlichen Mehrbelastung nicht stand. In meinem Körper habe ich mich noch nie unwohler gefühlt. Das langsame (und damals doch schreckliche) Zunehmen nach dem Krankenhaus ist nichts im Gegensatz hierzu.

Mir ist bewusst, wie ungesund und unvernünftig ich im Augenblick bin, aber das darf ich sein, weil ich weiss, dass ich über das Hungern nie wieder vollkommen die Kontrolle verlieren werde. Ich konnte bis jetzt immer stoppen, wenn ich an einen gewissen Punkt gelangte und diese Absicherung erlaubt es mir zu Hungern. Auch wenn ich Angst habe vor den Folgen, vor dem Haarausfall und dem Herzrasen, dem Muskelschwund und der Schwäche, bin ich der Meinung, dass dies eine gerechte Bestrafung für die Masslosigkeit ist, die ich in den letzten Monaten an den Tag gelegt habe. Früher hätte ich mich noch heftiger geritzt, um mir selbst Leid zu werken. Aber dieses Ventil ist unnütz geworden. Jetzt muss die Bestrafung über das Essen wieder herhalten. Ich habe mich zu lange gehen lassen, zu lange die Kontrolle über mich verloren und mir somit bewiesen, dass mein Urteil, das ich vor langer Zeit gefällt habe, richtig war: Ich werde nie wieder einfach nach Lust und Laune essen können, weil ich das Gefühl für Normalität vollkommen verloren habe. Ich brauche Krücken, um durch die Welt des Essens zu gehen und das sind die Zahlen.

Es war schön, eine Zeit lang nichts auszurechnen, sich nichts zu verbieten. Aber wenn ich ehrlich bin, sind das die einzigen positiven Dinge, die ich wirklich zu schätzen wusste. Alles andere fühlt sich einfach schrecklich an und ich will sie nicht mehr in meinem Leben haben.

Daher versuche ich meine Pläne, die ich seit Monaten schmiede, in die Tat umzusetzen. Ich habe es schon so oft versucht und bin gescheitert, aber ich weiss auch, dass es so nicht weitergehen darf und dass mir die Zeit davonläuft. Es muss JETZT etwas geschehen und ich hoffe, das Schreiben dieses Blogs hilft mir bei der Umsetzung.

Vielleicht, wenn ich alles hinter mir habe und wieder in ruhigeren, sicheren Gewässern segle, werde ich  Bilder posten von dieser Zeit. Bilder des Hungerns, Bilder des Fressens und irgendwann wieder Bilder des "normal" Essens.

Es tut mir Leid, wenn ich irgendjemanden, der dies hier liest, betrübe. Es ist nicht meine Absicht. Aber das Motto dieses Blogs ist die ungeschminkte Wahrheit zu erzählen. Und für mich ist er die Möglichkeit mir all die Dinge von der Seele zu schreiben, die ich im richtigen Leben für mich behalte. Ich hoffe, ihr versteht das und fühlt euch von mir nicht angegriffen, betrogen, gedemütigt, getriggert oder was auch immer.

So, let's go. There's a lot to do.

Ach ja. Ich bin ein Mensch, der Veränderungen zwar hasst und extrem an gewohnten Dingen festhält, aber manchmal brauche ich Veränderungen, um zu begreifen, dass eine neue Zeit anbricht und ich mich von gewissen Gewohnheiten befreien muss.
Die erste Handlung, die ich im Sinne der Loslösung meiner momentanen Eßstörung mache, ist es, mein Zimmer ein wenig umzustellen. Es tönt banal, aber glaubt mir, es bringt viel. Ich weiss nicht. Ich habe das Gefühl, dass Emotionen, Gedanken und Handlungen sich in meinen eigenen vier Wänden festsaugen und tief eingraben. Es ist wie ein Muster, in das man immer wieder zurückfällt. Tage, die sich nicht gross voneinander unterscheiden und daher immer im gleichen Rhythmus ablaufen. Wenn ich alles in meinem Zimmer auf den Kopf stelle und ausmiste, Hausputz mache und Neues einbringe, dann durchbreche ich diese Rhythmen und es ist für mich leichter, aus alten Gewohnheiten auszubrechen. Darum: Ja, ja, jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, ... ;-)

1 Kommentar: