Samstag, 6. April 2013

Vorteil der Fresserei

Ich versuche immer noch aus allem, das mir im Leben geschieht etwas Positives zu ziehen.
Auch aus der Tatsache, dass ich ins Fressen gefallen bin. In den Fettnapf.
Denn es gibt durchaus positives Dinge, mit etwas Mühe zu finden, die es ein bisschen aufheitern können.


  • Der Stoffwechsel erholt sich. Plötzlich friert man nicht die ganze Zeit, sondern im Gegenteil, vergeht vor Wärme, während andere frieren.
  • Anfangs hat man eine ungebändigte Kraft, eine Energie, die bis in die Zehenspitzen geht.
  • Es ist irgendwie ein wunderschönes - wenn auch anfangs sehr beängstigendes Gefühl - die Kontrolle abzugeben. Ich habe drei Jahre mit perfekter Kontrolle gegessen, jedes Lebensmittel, das in meinen Mund wanderte wurde zuerst gewogen, gemessen, berechnet und dann für gut oder schlecht befunden. Es ist ein wahnsinnig befreiendes Gefühl am Esstisch oder im Restaurant zu sitzen und zu essen, was immer man will.
  • Man ist nicht mehr die Extrawurst.
  • Alle freuen sich, weil man endlich zunimmt - alle ausser ich; und ehrlichgesagt ist dieses "Kompliment" das Schlimmste, was mir gesagt werden kann. Es bestätigt mir nämlich, dass ich immer dicker werde, und dass genau das eingetreten ist, was ich immer vermeiden wollte. Aber ups, wir versuchen hier ja von den positiven Dingen zu sprechen.
  • mehr fällt mir leider nicht ein, der ganze Rest zermürbt mich nämlich. Inzwischen verstehe ich, wie es Menschen geben kann, die extrem übergewichtig sind. Ich meine, wenn sogar ich, eine ehemalige Mager- und Sportsüchtige es kaum schafft wieder in die alte Disziplin zu kommen, wie will es denn jemand schaffen, der diese Disziplin niemals gehabt hat? Darum. Es tut mir Leid, dass ich all die dicken Menschen immer als schwach betrachtet habe. Ich glaube nämlich nicht, dass alle sich das selbst ausgesucht habe. Ich habe es mir bestimmt nicht so ausgesucht - und trotzdem ist es passiert.
Ich könnte dauernd mit einem Fächer herumlaufen, weil mir ständig so heiss ist.




Tja, jetzt habe ich es wohl geschafft, einen positiven Post wieder in einen negativen zu verwandeln. Ich kann eigentlich nur einen Ratschlag geben: Es ist durchaus normal, dass man durch eine Magersucht eine Zeit lang zu fressen beginnt - der Körper schnappt sich einfach alles, er klinkt sozusagen das Gehirn aus - das ist also unter gewissen Bedingungen okay so. ABER: es muss irgendwann in ein normales Essverhalten übergegangen werden. Und zwar, bevor man an der Grenze des Übergewichts ist. Ich will damit sagen: Wenn man mal magersüchtig war, dann will man irgendwie sowieso wieder zurück zu einem gewissen Gewicht. Wenn man sich also unfreiwillig viele Kilos angefressen hat, dann haben nur wenige von uns die Stärke aus dieser Fresserei in ein normales Essverhalten überzugehen. Eigentlich wäre dies erwünschenswert, aber es ist - jedenfalls für mich - eher unrealistisch. Denn wenn ich es erst einmal schaffe nicht mehr alles in mich hinein zu stopfen, dann werde ich die Chance nutzen und so schnell wie möglich all die angefressenen Kilos wieder loswerden. Durch Hungern. Ich weiss, das ist nicht das, was angestrebt werden sollte. Aber hallo? Ich bin eine Magersüchtige, die inzwischen in einem fetten Körper steckt. Da glaubt doch nicht wirklich jemand daran, dass ich dieses Gewicht halten will. Also muss es weg. Und logischerweise ist es mir dann auch unmöglich eine normale Ernährung aufzunehmen.

Und somit wären wir beim Leben in Extremen. Entweder ich hungere oder ich fresse. Etwas dazwischen finde ich nicht (jedenfalls nicht dauerhaft), weil ich alle Probleme über das Essen regle. Also kann ich entweder nicht esse und magere ab oder ich fresse mich voll und specke zu. Das eine oder das andere Extrem. Jetzt befinde ich mich im oberen Extrem. Und wenn ich nun eine Balance finden würde, dann würde das bedeuten, dass ich so bleibe, wie ich jetzt bin. Und da das für mich nicht auszuhalten ist, werde ich in dieser Situation auch nicht in ein normales Verhalten zurückfinden.
Vom anderen Extrem aus, vom Magersucht-Extrem, ist es bedeutend einfacher. Das habe ich mir bereits einmal bewiesen. Also wird mein Weg mich vorerst wieder zurück in das Extrem der Magersucht führen, bevor ich vielleicht endlich eine Mitte zwischen beiden Extremen finde.
Ich weiss, es tönt abartig. Ich habe das Gefühl, ich klinge wie eine von diesen Pro Anas. Aber wie soll ich das anders erklären? Meine Welt steht Kopf und die einzige Zeit, in der es mir einigermassen gut ging, war als ich noch magersüchtig war (vom Gewicht und vom Verhalten her) aber trotzdem genug gegessen habe. Daher ist es nur logisch, dass ich wieder zu diesem Punkt zurück möchte.
Dass es mir vielleicht auch mit diesem Gewicht jetzt und einer normalen Ernährung gut gehen könnte, ziehe ich nicht in Betracht, weil ich so nicht sein will und sein kann.

Jeden Morgen aufstehen und sich nicht nur schrecklich, sondern auch noch fett und schwabbelig zu fühlen, das halte ich nicht mehr lange aus. Und darum, so blöd es auch klingt und so schöne Folgen das viele Essen auch hat: Es muss aufhören. Sonst endet es irgendwann in krankhaftem Übergewicht. Und wer weiss. Vielleicht muss ich auch nicht mehr ganz runter mit dem Gewicht, bis ich mich wohl fühle. Das ist für mich alles was zählt: ich muss mich wohlfühlen in meinem Körper. Wann dieser Punkt erreicht ist, weiss ich nicht. Manchmal sind 48 zu viel, manchmal fühle ich mich mit 53 gut, früher war 58 schon ein gutes Gefühl. Wer weiss, wo ich dieses Mal hingelangen werde. Mein Ziel ist aber auf jeden Fall nicht, wieder so magersüchtig zu werden wie früher. So wie ich jetzt die Notbremes ziehen muss, weiss ich auch, dass ich bei der Magersucht irgendwann die Notbremse ziehen muss. Es geht mir nicht darum, wieder krankhaft dünn zu werden. Alles was ich will, ist wenigstens das Problem mit meinem Körper loszuwerden - und dann endlich nicht mehr alles Probleme über das Essen zu lösen.

Darum: keep on fighting, stay strong.

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